Freitag, 13. Juli 2007

Das agonale Prinzip

Am 1. November 1978 versammelte sich die Bürgerschaft der usbekischen Stadt Kokand, um der Enthüllung eines Denkmals beizuwohnen. Eine mehr als drei Meter große Statue eines jungen Mannes, Abdulla Nabiev, wurde am symbolträchtigen Ort unweit der Prachstraße in der russisch kolonialen Neustadt, die zu Sowjetzeiten Pionerskaja hieß, der Öffentlichkeit übergeben.

nabiev-denkmal

Abdulla Nabiev war ein junger Mann, ein Adoptivsohn einer Handwerkerfamilie aus Kokand. Diese schickte ihn in eine Reformschule, eine am Anfang des Jahrhunderts in Mittelasien sich überall etablierende moderne Einrichtung mit lokalen Lehrern, jedoch sakularen und religiösen Inhalten. Das war vor der russischen Oktoberrevolution.

Ab 1914, direkt mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges gründeten aufgeklärte Stadtbürger aller Orten Charitasverbände, die einerseits Geld sammelten, andererseits sich aber auch für soziale Belange vor der Haustür einsetzten. Die Schüler der besagten Reformschule taten dies ebenso. Bald darauf brandte das russische Imperium an allen Ecken und Enden, die Oktoberrevolution schwappte aus den Zentren Petersburg, Moskau und anderen Städten in die kolonialen Peripherien. Da die Charitasidee vor allem von jungen Männern organisiert wurde, bekam sie mit 1917 auch einen revolutionären Namen: Komsomol. Abdulla war hier ein Gründungsmitglied von vielen, nahm die soziale und politische Idee aber um einiges ernster und stieg langsam in der Komsomolhierachie auf. Nun entdeckten ihn auch Bezirkskader und ließen ihn im Schnellkurs zu einem Kommunisten machen. Bald darauf wurde er in eine andere Region Mittelasiens entsandt, eine gängige Methode der Kaderverschickung, wo er bei einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den antibolschewistischen Rebellen starb. Eigentlich war er ein Opfer des Bürgerkrieges, von den kommunistischen Statthaltern an die Bürgerkriegsfront geschickt, verstarb er im Alter von 24 Jahren 1921.

In den nächsten Dekaden, den 10 jährlich wiederkehrenden Gedenkfeiern zur Revolution wurde seine Person, eigentlich ein weisses unbeschriebenes Blatt Papier, ein Medium, in das die verschiedensten Akteure ihre Ideen von revolutionären Heldentum einschrieben. Diese Mystifizerung sowjetischer Helden folgte nach und nach verstärkt noch durch den 2. Weltkrieg dem agonalen Prinzip. Revolutionäre waren Kämpfer, nicht Opfer revolutionärer Umstände. Sie stritten für die Sowjetmacht, die einzige Opferpose die erlaubt schien, war die Mutter, die ihre Kinder verlor. Alle Männlichen Unterstützer des Systems wurden nur als Kämpfer geduldet. Die fünf Jahr Pläne, die stoßweise und rücksichtslose Technisierung der Landwirtschaft und Industrialisierung der Wirtschaftzonen, sowie die sowjetische Unterlassung charitativer Hilfe für sowjetische Kriegsgefangene in der Hand der Wehrmacht waren eine Folge dieses agonalen Prinzips. Auch Abdulla Nabievs Mystifizierung wurde vom agonalen Prinzip geleitet.

Es kam das Jahr 1965. Chrustschow hatte die Tauwetterperiode eingeleitet und die kommunistische Partei Armeniens beging unter Ausschluss der Öffentlichkeit das 50 jährige Gedenken an den Genozid durch das osmanische Reich hinter verschlossenen Türen. Der Genozid jedoch war schwierig durch das agonale Prinzip zu mystifizieren. Franz Werfel gelang z.B. mit dem Roman die Helden des Musa Dagh zwar diesem agonalen Prinzip einzuordnen, die gesamte Geschichte der Vertreibung jedoch war aus der Opferperspektive um einiges authentischer zu erinnern. Und hier wird es interssant. Die Mitglieder des Politbüros Armeniens fassten auf dieser Gedenkstunde den Beschluss, dem Ereignis ein Denkmal zu widmen und entpuppten sich als Virtuosen des agonalen Prinzips. Das Denkmal wurde den Gefallenen des Großen Vaterländischen Krieges errichtet, hatte eine dafür typische ewige Flamme, jedoch zeichneten es zwei andere Symbole aus, die eigentlich unmißvertsändlich waren: Es wurden zwölf Steinstehlen im 45 grad Winkel so aneinandergestellt, als wäre es ein abgeschnittener Berg, eine symbolisch hochgradig aufgeladene Allegorie auf den Ararat, den man von dort aus auch sehen kann und ein Obelisk, ein typisches armenisch christliches Symbol. Offiziell folgten die Beschreibungen dieses Denkmals dem Prinzip des sowjetischen Totengedenkens für die gefallenen Helden des zweiten Weltkrieges, inoffiziell jedoch wurde hiermit auch dem Genozid an den Armeniern gedacht.

Das agonale Prinzip wurde nach dem Ende der Sowjetunion weitgehend fallengelassen. Die armenische Gedenkkultur wurde durch die amerikanische Diaspora stark von der Erfolgsgeschichte des jüdischen Gedenkens an die Opfer der Holocausts beeinflußt. Auch in Mittelasien wurden die Heldendenkmäler aus der Öffentlichkeit entfernt. Man stilisierte sich zunehmend als Opfer der kolonialen und kommunistishen Gewaltherrschaft. Das kämpferische Denkmal Abdulla Nabievs wurde längst eingeschmolzen.

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Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

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