Freitag, 3. März 2006

Gaunergrammatik

Dem Sprach- und Kulturgelehrten Shlomo a Lurion war fad. Seine Studierstube roch ihm nach arg verschimmelten Gedanken. Die Schriften auf losen Blättern Papier lagen überall herum, hatten für ihn aber keinerlei Bedeutungen. Wilhelm Mühlmann, Richardt Thurnwaldt und deren Rumgeseiere über menschliche Urkonstanten. Die einizge Urkonstate von Shlome a Lurion war, dass ihm fad war. Er brauchte Abwechslung! Wie oft hatte er schon die Matrizen angehört, auf denen er Mundarten der Gauner sammelte? Hunderte Male! Zugegeben, es war auch eine stattliche Wörtersammlung fremder Gaunersprache dabei herausgekommen aber pf! das Ganze ergab doch nichts, absolut nichts vernünftiges. Er brauchte mehr, mehr Geschichten, mehr Sätze, mehr Wörter. Er brauchte sie von allen, von den Nutten, huhh waren die heiß, wenn man ihnen die eine oder andere Mundart herauslocken wollte, den fahrenden Handwerker, bei denen die Fäuste locker saßen, den herumziehenden Wandermönchen, die mit ihren Penisringen nicht nur die Frauen auf dem Land in heilige Liturgien versetzen konnten, den fahrenden geheimniskrämerischen Juwelieren, er brauchte Sprachmaterial von allen. Das war das Leben! darin konnte er sich baden, nicht in diesem sterilen Theoretikerjargon der ängstlichen Sesselfurzer.

Und so schloss er das Zimmer in seinem Wohnviertel sorglos zu und ging durch die geschäftigen Straßen in der Nachmittagssonne in das Bahnhofsviertel. Darin lag eine Kneipe, eine ganz besondere Taverne, in der sich Hinz und Kunz trafen. Leute aus der Diebesgilde, den Kesselflickern, den Bettlern, den Babyhändlern, kurz alle, die neben zwielichtigen Geschäften auch gleich noch zwielichtige Ausdrucksweisen hatten.

Die Tür ging auf und er trat in eine weitgehend stille Kneipe. Für die Massen war es noch zu früh, die mußten zuhause noch nach dem Rechten sehen und das von ihren Frauen bereitete Mal einnehmen. Mit nüchternem Magen trinkt es sich nicht gerne!
Nur Gadar Schwarz, der Narr war da. Shlomo ging zu ihm, er bekam wieder diese geilen Schweisshände, die er immer bekam, wenn er Unbekannten gegenübertrat und Wissen zu finden hoffte.
"Hallo, meine Name ist Shlomo!"
"Hmm!" murrte der Hospitalismusfreak Gadar.
"Ich brauche Wörter, deine Wörter aus deiner Sprache!"
"Hmm, bekomm ich dafür ein Bier?"
"Na klar!" Schlomo freute sich, er hatte wieder einmal einen Untergrundler an der Angel.

"Also!... ", begann er freudig erregt auf Gadar einzuquatschen, der seinen Körper immer mehr nach vorn und nach hinten wippen ließ. Das war kein gutes Zeichen, vor allem war es das totsichere Zeichen, dass Gadar ihm gar nicht zuhörte.

"Nun ja", bemerkte Schlomo, als er sah, dass alles Reden sogar an der Tapete abprallte, und die war sonst recht verständig, jedenfalls in Schlomos Augen. "Dann versuchen wir es doch auf deine Weise! Erzähl mir einfach eine Geschichte!"

Da fing Gadar an: "Was soll ich Dir Oberschlaumeier schon erzählen? Passiert ja so nicht viel hier… Aber heute, da bin ich in der Strasse der Juweliere gewesen. Da gab es eine Braut, Mann! die hatte Titten, so geile Möpse, dass ich volle Kanne einen Steifen bekommen habe. Dann schaue ich runter auf ihren Arsch und was sehe ich? Zwei pralle feste kleine Berge und die Gegend um die Fotze, die wölbte sich schön nach vorn. Hm, ich war gespannt wie ein Flitzebogen. Aber was soll’s war eh für die Katz. Ihr Kätzchen schnurrt eh nur für die die Reichen! Kriegt ja von ihrem Alten auch die nötigen Penunzen, für ihren Spaß. Ha, soll sie nur machen, ist ja noch nicht unter der Haube, kann se sich ja noch ausprobieren."

Schlomo war begeistert. Ein Kollege, Lutz der Hammer, hatte ihm schon vor Jahren zu dieser Technick geraten. Er nannte es ‚’orale Geschicht’’ bei oral musste Schlomo immer an die Foltermethoden der Mädels aus dem Internat denken. Die wandten sie aber komischerweise nur bei den bebrillten Leseratten an. Naja jetzt hatte sie sich gelohnt. Er hatte zwei Fliegen mit einer Klatsche erlegt. Erstens hatte er einen Teil des Alltages aufgenommen, zweitens hatte er wieder seine Wortliste geheimer Gaunersprachenwörter vervollständigt:
  • Oberschlaumeier,
    Braut,
    Titten,
    Möpse,
    volle Kanne,
    einen Steifen,
    Arsch,
    Fotze,
    gespannt sein wie ein Flitzebogen,
    schnurrendes Kätzchen,
    Penunzen,
    unter der Haube
Er würde jetzt Heim gehen und in die Wörterbücher schauen. Wochen der ausgefüllten Arbeit lagen vor ihm. Er freute sich unbändig. Er war auf seinem Weg zur Gaunergrammatik wieder einen Schritt näher gekommen.

Untergejubelte Geschichten

Es gibt jede Menge Märchen. Die Romantiker, die auszogen den Leuten diese zu entlocken, haben das ihrige getan, um sie fest in unser heutiges modernes Literaturgut zu verankern. Dass es Märchen über Zigeuner gibt, sollte da nicht verwundern. Dass diese aber zum Teil gar nicht von Zigeunern stammen, wurde anhand der durch deutsche Forscher ''gesammelten'' Märchen schon mehrmals bewiesen. Soweit so gut! Ich wollte trotzdem so gut wie alles, was man über Zigeuner finden kann, in meinen Bürcherschrank stellen. Die guten interessieren mich eben. Da die Bücher der DDR Verlage alle schön billig in den Antiquariaten zu bekommen sind, habe ich mir vor ein paar Wochen einen ganzen Schub dieser Literatur billig ergattert, unter anderem das Buch: ''Der Nachtvogel. Zigeunermärchen aus Rußland.'' Hier gibt es das Märchen: ''Wie sich die Zigeuner über die Welt verstreuten''. Ich bin immer schon ganz heiß gewesen nach Urspungsmythen. Die machen einem immer auf so schön metaphorische Weise den Grund der Existenz von bla bla klar.

Nur über die Zigeuner, da wurde bisher soviel Mist drüber geschrieben, dass ich ganz gespannt war, wie denn wohl russische Zigeuner ihren Urspung erklärten. Und da lesen wir folgendes:

Es ist nun schon lange her, da war ein Zigeuner mit seiner Familie unterwegs. Sein schwächliches klapperdürres Pferd mußte einen vollbeladen Leiterwagen ziehen, denn der Zigeuner hatte eine große Familie, eine ganze Schar Kinder. Wie sollte er sie alle satt bekommen? Auch das Pferd wollte fressen, aber nirgends war Heu zu ergattern. Der Zigeuner mußte stehlen, doch das klappte nicht immer. So zog er durch die Welt und litt große Not. Auf dem Wagen durften nur die kleinen Kinder sitzen, sonst hätte sich das Pferd nicht mehr von der Stelle gerührt. Wer älter war, der mußte hinter der Fuhre hergehen. Der Wagen war so überladen, mit Hausrat und Kindern, daß er schwer zu lenken war. Er schwankte mal nach links mal nach rechts, mal viel ein Topf herunter mal ein barfüßiges Kind. Bei Tage, wenn alles gut zu sehen war, sammelte der Zigeuner Topf und Kind wieder ein, im Dunkeln aber konnte er nicht alles im Auge behalten. Wie sollte er auch bei den vielen Kindern? Also gab er dem Pferd die Peitsche und ging immer geradeaus. Und so geschah es denn: da blieb ein Kind zurück, und da ein zweites. Der Zigeuner durchstreifte die ganze Welt, fuhr kreuz und quer durch alle Länder, und überallhinterließ er Kinder. Seit damals haben sich die Zigeuner über die ganze Welt verstreut.

Als ich das las, war ich sauer! Na toll, schon wieder so 'ne Geschichte Nichtzigeunern über Zigeuner.
Das ungeheuerlichste zuerst: Die Geschichte unterstellt dem Zigeuner Sorglosigkeit im Umgang mit seinen eigenen Kindern. Wir wissen, die Familie ist der Zigeuner höchstes Gut. Ihre Angelegenheiten gehen alle Mitglieder an, die Schande des einen ist die Schande der anderen, der Ruhm des einen schlägt sich auf die anderen nieder. Hier aber ist dem Mann das Schicksal seiner Kinder egal. ''Hmm naja, wieder eins verloren'' will er sich gesagt haben und zog weiter? Im richtigen Leben hätte er, auch wenn in der Nacht einer vermißter wird, Himmel und Hölle, alle Mitglieder seiner Familie in Bewegung gesetzt, um ihn wieder zurückzuholen. Wäre es eine Tochter gewesen, hätte er wohl noch harscher und konsequenter gehandelt, denn die Tochter verkörpert die Ehre ihres Vaters, ihre Veräußerung an eine andere Familie, ist mit größter Vorsicht zu bewerkstelligen. (Außerdem ziehen Zigeuner nicht nachts durch die Gegend!)

Der zweite Stein des Anstoßes, ist in der Geschichte der Anstoß: ein Mann wohnt einfach so auf einem Leiterwagen. Und da es bitterarm ist, muss er umherziehen. Also: wäre er bitterarm, würde er sich in den Wäldern in einem Erdloch aufhalten, würde sich von den Früchten des Waldes ernähren und könnte sich nie und nimmer einen Leiterwagen leisten. Zweitens: er würde keine der Bratpfannen einfach mal so in der Nacht vom Leiterwagen rutschen lassen. Die ganze Armutstränendrüse ist das Stereotyp der Nichtzigeuner, die sich immer wieder erklären müssen, warum Zigeuner wohl vor ihrer Nase die Hand aufhalten. Doch Zigeuner, die sich natürlich auch durch Bettelnomadismus durchschlagen, nutzen nur hier das Barmherzigkeitsgebot der Gemeinschaften als Einkommensstrategie, was noch lange nicht heißen muß, dass sie auch wirklich arm sind.

Das dritte und letzte, was es hier zu meckern gibt, ist das Design der Geschichte als Unterwanderung der Welt durch Zigeuner. Sie spricht ihnen zwei Sachen ab, einen eigenen Stolz, ein positives Selbstbewußtsein, und ebenfalls die Möglichkeit, das eigenes Tun durchaus eigene Motive haben kann und nicht aus dem purem Zwang der Armut geschieht. Dass der Bettler das Stigma der Armut benutzt, um selbst davon zu profitieren, schon klar. Aber das er es bewußt tut, dass wollen wir manchmal nicht kapieren.

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Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

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