Mittwoch, 27. August 2008

unfaßbar

Alle Nachrichten von getöteten oder vermißten Kindern schockieren, stellen den Menschen vor die Herausforderung, diese verdammte Welt nicht immer verstehen zu können. Doch es gibt anscheinend Dimensionen von Kindsmord, die schnell eine politische Sphäre erreichen. Einen solchen Fall haben wir gerade in Leipzig, der Tod der Michel und die offensichtliche Mobilisierung der Reudnitzer Rechten. Die allgemeine Bevölkerung mit Kindern kann kaum an dem Ereignis vorbei. Im Kindergarten und Schulen müssen Eltern ihre sämtlichen Vollmachten erneuern, man weiss ja nie. Alle bekommen Handzettel mit, unterschrieben von Polizeipräsidenten, von Schulratsvorsitzenden usw. Sie garantieren ihnen alles Mögliche, manchmal sogar Sicherheit, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Die Stadt ist aufgeregt.

Gleich nach dem Ereignis gab es Betroffenheitsdemonstrationen, die von der ersten Sekunde an in die Rechte Tasche gesteckt wurden. Gerüchte gehen um, dass das Opfer direkte Verwandtschaft zur NPD Zentrale hatte. Unglaublich schnell wurde reagiert.

Vorgestern maschierten die Braunen auf und schafften mit unglaublicher Organisation, die angekündigte Montagsdemonstration in die Hand zu nehmen. (Ein guter Bericht von der Szenerie hier)

Und die Linken sind sprach- und fassungslos ob dieser unglaublichen Kraft, die sich jetzt gerade entfalltet. Die Reporterin von mephisto (Beitrag noch nicht online wird aber nachgreicht) faselte ob dieser Szenerie nur noch unzusammenhängendes Zeug. Ich will dem Tagesaktuellen nichts hinzufügen, sondern die jetzigen Ereignisse mit einer persönlichen Erfahrung verbinden.

Vor ein paar Wochen feierten wir Kindergeburtstag im Saurierpark Kleinwelka, in der Nähe von Bautzen, unweit vom Dreiländereck D/Pl/Cz.
Hier waren eine Unmenge Familien mit Kindern unterwegs, es waren Ferien diesseits und jenseits der Grenze. Hier hatte ich Gelegenheit, eine Gruppe polnischer Skins mit ihren Familien zu beobachten. Auffallend war dabei die starke Rollentrennung in der Familie. Die Sorge um die Kleinen ist Frauensache, das Wohl der Familie hingegen Männersache. Wir kennen es auch aus anderen Zusammenhängen, passiert dem Kind irgendetwas innerhalb der Familie, ist das Frauenaufgabe, ist jedoch da draussen etwas im Argen, tritt der Vater in Erscheinung und verteidigt seinen Nachwuchs bis aufs Blut. Diese hier etwas zoologisch anmutende Beobachtung hat ihren Usprung in einem Familiendenken, so würden Gesellschaftsethnologen sagen, dass archaische Züge trägt. Für Zöglinge aus Ottonormalfamilien im nunmehr fast ausschließlich bürgerlichen Deutschland sind solche Familienformen fremd. Nichts zuletzt sind deshalb gerade die beschlagensten Verwandtschaftsethnologen fasziniert von solchen sonst nur in außereuropäischen oder südeuropäischen Clans- und Stammesgesellschaften zu findenden Familienlebenswelten.
(Siehe www.jf-archiv.de/archiv08/200815040456.htm)

Auch ich konnte mich eine gewissen Faszination dieser Familienanschauung nicht entziehen. Lange beobachtete ich das eingespielte Rollenverhältnis zwischen Frauen, Kindern und ihren Vätern.

Die Kommentatoren der Leipziger Reudnitz Montagsdemo sprechen nun den Anwesenden Skins und Hools eine familiäre Kompetenz ab. Und gerade hier irren sie sich und verkennen, dass diese sich auf ein völlig anderes Familienverständnis gründet -- und dieses Verständnis von Familie wurde mit dem Mord an einer Verwandten aus diesen Familienkreisen erheblich angegriffen. Die spontane und gut organisierte Reaktion hat ihre Erfahrung in der politischen Arbeit, ihre Kraft jedoch gebiert sie aus dem Angriff auf archaische Überzeugungen.

Interessanterweise treffen sich diese Überzeugungen nun in Teilen mit dem weiten Spektrum der Leipziger Bevölkerung. Keiner will jemanden aus seiner Familie verlieren, aber auch nicht jeder würde hierfür die Wiedereinführung der Todesstrafe fordern. Nur ein Teil tut es, lautstark. Es erinnert mich an die Montagsdemonstrationen vor vielen Jahren, als die ersten noch für Veränderungen im Land demonstrierten, andere aber bereits das DDR Emblem aus ihrer Fahne geschnitten hatten und riefen: "Wir sind ein Volk!" Auch hier war eine heterogene Masse anwesend, doch die hatte greifbare Ziele. Die jetzigen Ziele der Leipziger Montagsdemonstranten sind unfaßbar aber ein klarer Ausdruck aller Hilfosigkeit, auf soetwas wie Kindsmord zu reagieren.

Erst wenn die erste Wut verflogen, werden wir sehen, was sich wohl in Leipzig noch formieren wird.

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Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

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