Geschichtsding.

Das mit dem Gedenken ist ja ganz eine moderne Sache. Das haben die Historiker mit ihren Aufdeckungen zur Memoriakultur in den 1980er Jahren doch schön herausgearbeitet. Aber auch wenn es eine moderne Sache ist, ist es trotzdem nicht weniger wichtig, wie jüngste Ausschreitungen in Estland zeigen, wo die schon ein bissel grantigen Esten ausgerechnet in der Woche zum Gedenken an den Großen Vaterländischen ein Weltkriegsdenkmal aus der Sowjetzeit abbauen wollten. Hätten sie ja im Sommer machen können, nein, es musste die Maiwoche sein. Rechnung macht da dann nicht immer der Wirt. Hier in Tadschikistan ist das mit dem Gedenken an den Großen Vaterländischen überhaupt kein Problem, das wird gefeiert, dass die Bude kracht. Komisch, rein äußerlich, müssten die Tadschiken so grantig sein wie die Esten, sind ja auch so ein peripheres Volk mit russischer Chauvigeschichte aber hier sieht man das ganz anders und das kam so. Nach dem die Stalinisten nun in den 30ern vor allem im Zuge der Kollektivierung, der sogenannten Frauenbefreiung ihre Säuberungskampagnen so richtig zum Staatsterror haben werden lassen, brauchte man für den Weg in den Schützengraben eine bissel andere Musik. Da haben sie den Nationalitäten, die vorher mit Deportationen in die Lager ganz „entnationalisiert“ werden sollten, wieder ein bissel ihre Kultur zurückgegeben. Da gab’s dann nicht mehr modernen nur sozialistischen Foxtrott auf dem Parkett, sondern wieder nationale Tänze. Nationale darstellende Kunst war nun Zirkus. Sport- und Spiele wurden nicht mehr als grob, vorrevolutionär oder reaktionär angesehen, sondern wurden nationale Folklore. Zwanzig Jahre gleissende, elektrisierende Kulturrevolution wurde ausgeknippst und der Empfänger nun mit Folkloreliedchen gefüttert, damit es sich besser im Schützengraben singt. Die Internationale ist da ja nun auch nicht so gut dafür. Und als der Hitler nun immer weiter in den Osten rein und totales Chaos, da haben sie die Fabriken in Rußland Stück um Stück abgebaut -- Rüstung-, Film- und Bekleidungsindustrie vor allem -- und wieder schön in Sowjetischzentralasien aufgebaut (sprich also alle -stans außer Afghanistan und Pakistan versteht sich). Das war dann zwar schon zehn Jahre nach dem ersten Fünfjahrplan, wie da ja die Industrialisierung genannt wurde, aber dafür war es auch eine wirkliche Industrialisierung; nicht nur `nen Kanal oder so 'nen Anbau für die Seidenfabrik, sondern richtige Raketen- und Auto- und Bombenfabriken. Und als dann die Jungs aus dem Krieg wiederkamen, blieben die Fabriken stehen. Die Folklore durfte auch bleiben und dann kam Chrustschow und dann war eigentlich alles super, auch wenn der Brezhnew wieder die ganze Suppe versalzen hat. Aber das ist nun auch schon wieder lange her. Erinnert sich ja auch keiner mehr dran. Nur der Krieg, der natürlich ganz groß, und so doof war der ja nun auch wirklich nicht für Zentralasien. Aber nun sind mehr als sechzig Jahre rum und morgen treffen sich die paar, die den erlebten und noch übrig sind und gedenken. Da richtet das Museum einen Gedenkvormittag aus, und weil ich da arbeite, muss ich auch hin. Aber nun kommt das Problem. Meine Gewährsfrau aus der Abteilung Wissenschaft wollte nun, das ich auch was sage. Wir sind doch auch von den Faschisten befreit worden. Und da hätten wir doch auch die sowjetischen Soldaten begrüsst, hätten sie willkommen geheißen und ihnen Brot und Salz als Gruß gereicht. Nun muß man wissen, das Brot und Salz so eine alte Geste aus tausend und einer Nacht ist, islamisches "`Gruess Gott!"' quasi. Wir hätten auch Blumen geworfen und Hände geschüttelt. Nun wurden meine Augen ganz groß. Ich weiß nicht, ob es deshalb war, weil ich mir zuerst vorstellen musste, wie wir da ganz tadschikisiert mit Chalat und Stiefeln den Soldaten das Brot und Salz reichen. Oder ob es wegen diesem Geschichtsding war. Ich habe nun zwar nie was gegen die russischen Soldaten gehabt, das war ja für mich Geschichte von damals. Aber Russischunterricht scheisse und die russischen Soldaten auch scheisse dran, in ihren Uraltkasernen mit Nullausgang. Nun aber so was sagen wie Willkommensgruss, nee soviel trau ich meinen Geschichtsbalken nun auch nicht zu. Die wurden zwar nun schon ordentlich in 14 Jahren DDR belastet, aber biegen und brechen nee danke, da krieg ich ja `ne Gehirnerschütterung von, wenn das geht, so mit Geschichtsbalken im Kopf. Nun bin ich aber auch kein Mediziner. Aber interessant, die Geschichtsbalken von der Wissenschaftsabteilung wollte ich nun jedoch auch nicht wieder biegen. Warum bloß haben wir diesen Balken uns da in der Moderne eingebaut? Die Altvoderen haben sich einfach am Lagerfeuer eine kleine Geschichte erzählt. Die waren zwar nicht wahr aber hatte viel Wahres in sich, und der Hase wusste auch so, wo er lang laufen musste, aber das haben die Grimms nicht verstanden, und auch all die anderen auch nicht: die Herren Volksschullehrer alla Herder und Hegel. Haben uns also diese dings Aufklärer den Schlammassel eingebrockt. Und ich sitze hier am Laptop im Archiv und sinniere über die Altvorderen …. auch schon so ein Volksschullehrer geworden. Kommen nun plötzlich die Mädchen in den Keller, die Aspirantinnen von der Abteilung Wissenschaft. Nach der ausgiebigen Begrüßung fragen sie mich kichernd, ob ich mich nicht für die Kriegsveteranen als Hitler verkleiden wolle, das wäre doch ein Spass. Darüber nun haben wir alle gelacht. Und das gilt hier immer als die beste, weil noch kostenlose Medizin...

Trackback URL:
https://olimdevona.twoday.net/stories/3687268/modTrackback

Suche

 

Archiv

Mai 2007
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
24
26
27
29
30
31
 
 
 
 

Web Counter-Modul

Impressum

Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

Here be dragons
Randzone
Reisenotizen
Sinnprovinzen
Straße der Besten
vom sofa in die Unterwelt
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren