Mittwoch, 2. November 2005

Erkenne fuenf Unterschiede!

Heute bin ich faelschlicherweise zu frueh aus dem Sammeltaxi (marschrutka) ausgestiegen, es war gerade die Zeit des taeglichen Fastenbrechens (iftor) . Normalerweise huschen im Monat Ramadhan immer alle "guten Muslime" vor dem Fastenbrechen nach Hause, weil sie seit drei Uhr frueh morgens nichts mehr gegessen oder getrunken haben. Wer nicht nach Hause hastet, eilt in ein Teehaus und pfeifft sich was Gebratenes oder Gebackenes ein...
So ging ich also durch die menschenleeren Straßen als auf einmal eine undurchsichtige Gestalt auf mich zukam. "Hey, Franke (farangi)!" rief er mir zu, "Bleib stehen!" Etwas erschrocken hielt ich ein und schaute die verwegene Gestalt an, "Raus mit der Kohle!" rief er mir zu. Ich antworte ihm: "Ich bin Student, hab also keine Kohle!! (Studenten gelten in der ganzen ehem-. Sowjetunion als arme Schlucker) und wenn du mich in ein paar Jahren wiedertriffst bin ich Wissenschaftler habe also auch dann kein Geld!" rief ich ihm geistesgegenwärtig zu. Und ich holte sogar noch aus: "Ich habe noch keinen von Euch aus der Diebesgilde kennengelernt, kann ich nicht ein Interview mit Dir machen?" Er schaute mich komisch an, meinte muerrisch er weiss nicht was ein Interview ist ich solle ihn in Ruhe lassen. 'Hmm...', dachte ich, 'dann versuche ich es eben mit teilnehmender Beobachtung.' "Gut" meinte ich nach kurzer Stille, "dann nimm mich doch an die Orte mit, an denen Ihr aus Euerer Gilde (kasaba) normalerweise Euer Bier hebt!" Er dachte sich vielleicht, das wird ein netter Abend mit einem Quasikollegen (einem Studenten). Kann ja nicht schaden und ausserdem: da der Student ein Franke ist, wuerde er vielleicht das eine oder andere Neue zu hören bekommen. Was ihn jedoch letztendlich bewog mich mitzunehmen, er hat es mir nicht verraten.

Wir gingen also ein paar Meter zusammen, bis wir an ein Haus ankamen, an dem eine Kellertreppe von außen in die Tiefe führte. Und was fuer Untiefen kamen da auf mich zu! Es roch nach Qualm und Wodka, billigem Fusel, der Bohnerwachs zu einem Getraenk der Gourmets werden laesst. Es standen in einer Ecke ein paar Damen, die auf der Strasse noch einem alten Opi auf einem Fahrrad hinterherschreien würden: "Hey Opa, fuer einen Euro (somoni) lutsche ich dir deinen Schwanz!" Der Boden stand vor Dreck und das Bier hier schien zum Abgeschmacktesten zu gehören, was Mittelasien zu bieten hatte.

Wow, dachte ich, dass ist authentisch! und ließ mich in die Abgruende einer anderen Welt gleiten. Der Vater von meinem neuen Freund (pieta und ethnografische Etikette verbieten mir sogar seinen Namen zudechiffrieren) war Knochenbrecher, ein Beruf, der heute selten geworden ist. Man gab Kinder zu solch einem, wenn man es als Krüppel zum Betteln brauchte. Er hatte viele von den heutigen Bettlern Mittelasiens zum dem gemacht, was sie heute sind. Seine Mutter begleitete seinen Vater, der aufgrund seines Unterweltstatusses (Banu Sosson) vagabundieren musste und war Wahrsagerin. Das sie unter manchem auch "wah!" sagte, schien in dieser fremden Welt nichts außergewöhnliches. Er selbst wollte eigentlich zum Kartentrickser werden, und haette es wahrscheinlich bis zum Großindustriellen gebracht (wie ein anderer seiner Kollegen aus der schönen Stadt Khodjand) aber sein Vater hielt nichts von dieser Kunst, war eher fuer das Handfeste und bildete ihn zum Dieb aus. Wenn er auf diese handfeste aber feine Kunst keine Lust hatte, sagt er, würde er sich auch mit einfachem Raub begnuegen.

Wir unterhielten uns so ueber das und jenes ... auf einmal kam eine Dame auf mich zu und raunte: "Na Kleiner, machst es ... ? " Ich weiss nicht wie ich aufwachte ... aber ich wusste wo. Ich schaute mich um und fand mich im Fond des Museums wieder, vor mir die aufgeschlagene Akte des ehemaligen Kolchosdirektors Usmonov. 'Hmm...' dachte ich, wieder kein Abenteuer ... bis zum Fastenbrechen war es noch eine Stunde.

Dank an Terry, Clifford Edmund und ein Lob der Ethnographie ...

Suche

 

Archiv

November 2005
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 4 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
14
17
18
19
20
22
23
24
25
26
28
29
30
 
 
 
 
 

Web Counter-Modul

Impressum

Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

Here be dragons
Randzone
Reisenotizen
Sinnprovinzen
Straße der Besten
vom sofa in die Unterwelt
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren