Sonntag, 30. September 2012

Haende fassen und loslassen

Nun habe ich ein zweites Mal den Roman von Amitav Ghos: Glaspalast fast durchgelesen. Es ist ein wunderbares Buch und beim zweiten Mal noch intensiver als beim ersten. Ich will aber gar nicht so sehr von dem Buch erzaehlen, als vielmehr von zwei Anekdoten aus dem Buch, die als Motiv und Thema das Buch immer wieder durchziehen. Anekdoten, die romantragend sein sollen, das klingt komisch? Ich bin kein Literaturwissenschaftler, deswegen weiss ich nicht, was nun geht und was nicht aber lassen wir das.

Zu den Anekdoten

Die eine kommt gleich zu Anfang des Buches: Der birmanische Koenig Thebaw und seine Familie werden von den Englaendern in die Verbannung geschickt und unter den Familien- und Hofmitgliedern ist auch eine der Hauptpersonen des Buches: Dolly. Diese ist keine sechs Jahre und eine der Hauptheldinnen des Buches. Rajkumar, ein indischer Waise, kaum 4 Jahre aelter, bekommt sie ein erstes Mal zu Gesicht, als er zusammen mit dem Mob den Palast pluendert. Das zweite Mal, als die Familie aus dem Palast zum Schiff gefuehrt wird. Bei diesem zweiten Mal kauft er geschwind Suessigkeiten am Strassenrand und schafft es, diese trotz Soldatenbewachung Dolly zu uebergeben. Das erste was diese macht, ist die Suessigkeiten, den sie bewachenden Soldaten anzubieten. Rajkumar ist darueber erst sehr erbost, dann erkennt er ihre Weisheit. Sie knuepft mit dem Unvermeidlichen Beziehungen, anstatt gegen diese anzukaempfen.

Dieses Bild beschaeftigte mich nun in der Zeit, die ich in Bangladesh weilte immer wieder. Ist es nun ein Zeichen des Fatalismus oder ein Zeichen der Weisheit, nicht zu kaempfen, nicht zu oponieren, sondern aus der gegebenen Situation das Leben immer wieder neu zu beginnen. Das Land Bangladesh hat mir immer wieder diese Anekdote auf erstaunliche Weise vorgefuehrt. Eigentlich koennten die Bewohner dieses Landes einen gut begruendeten Groll gegen die Fremherrschaft der Briten und der Westpakistanis hegen. Die Briten haben diesen einst reichsten Landstrich des Indischen Subkontinents ausgenommen, leergeblutet, Hungerkatastrophen hingenommen und schliesslich zu dem gemacht, was es heute ist, ein Land mit Problemen. Die Pakistanis hatten dazu nicht die Gelegenheit, aber besonders ruehmlich haben sie sich auch nicht verhalten. Statt des Grolls aber spuert man in Bangladesh ueberall die unbedingte Bereitschaft mitzumachen, den Anschluss zu gewinnen oder nicht zu verlieren. England ist Studienplatzwahl Nummer eins, man bewundert das postkoloniale Europa und die Beziehungen mit den Pakistanis sind auf der Ebene der normalen Menschen ebenfalls ohne Gram. Man bewundert ihr Krikettteam, das gerade hier in Sri Lanka mit den Aussies, den Indern und den Suedafrikanern um den Sieg kaempft. Man macht nicht da weiter, wo man aufgehoert hat, wie vielerorts in den Vertriebenenverbuenden und bei den Radzurueckdrehern, sondern dort wo man gerade steht. Ein Land, das regelmaessig in den Fluten versinkt und in denen die Natur verhindert, dass sie Gegensaetze zwischen Arm und Reich die Grenzen sprengen (auf dem Lande -- in der Stadt Dhaka sind sie eklatant), ist vermutlich so aufgestellt. Es zaehlt nicht so sehr die historische Erinnerung, sondern das Heute und das Morgen.

Die zweite Begebenheit kommt erst sehr spaet im Buch, kuendigt sich aber immer wieder in den Gewissensbissen der indischen Soldaten innerhalb der Britisch Indischen Armee an. Sie wird aber nicht vom Soldaten Arjun, der eine her weniger tragende Rolle spielt geaeussert, sondern von seinem schaerfste Kritiker, dem wunderbaren Dinu, um dessen Schicksal ich das eine oder andere Mal im Buch zu Traenen geruehrt war. Dieser formuliert, dass es die schlimmste aller Niederlagen eines Unterdrueckten ist, gegen seine Unterdruecker zu fallen, ueberhaupt gegen sie angetreten zu sein. Denn auch im Gegensatz sei man mit ihnen vereint, koennte sich dem System nicht entziehen, waere auf ewig gefangen zwischen den Polen der Gegensatze. Diese laehmen alle Kreativitaet, wuerden Potentiale vergeuden, die sich in der freien Entfaltung ganz andere Orte, Ebenen und Richtungen erschliessen koennten. Also nicht Dafuersein, nicht Dagegensein, sonder Sein, sei das Gebot der Freiheit. Auch dass wieder ein schwieriges Bild, eine Absage an Fatalismus, aber auch eben keine Stellungnahme, wie wir sie gewohnt sind, zu haben. Wir wolllen uns Meinungen bilden, dafuer oder dagegen, lieben die Momente der Debatte. Der Held Dinu lehnt diese fuer sich ab. Fuer ihn ist das frei entfaltete Lachen wichtiger als ein Kampf um Leben und Tod, dass nicht nur auf den Weg der Unfreiheit fuehrt, sondern diese eben dadurch immer wieder stabilisiert. Waehrend ich hier auf dem Flughafen von Colombo auf meinen Nachtflug nach FFM warte, erwische ich mich immer wieder im Denken der Gegensaetze, mache mir Gedanken ueber die hier wartenden leicht bekleideten Strandurlauber, setze mich dauernd in Beziehungen ohne dabei zu sein.

Und das erinnert mich wiederum an eine letzte Frage, gehoert in einem Theaterstueck, dass ich vor Jahren einmal sah. Hier wurde einem Leherer die Frage gestellt: "Was ist nun besser: Das Sein im Nichtsein oder das Nichtsein im Sein" und der Lehrer antwortet: "Weiss ich nicht!"

Suche

 

Archiv

September 2012
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 7 
 8 
 9 
11
13
15
16
17
19
20
21
22
23
25
26
27
28
29
 

Web Counter-Modul

Impressum

Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

Here be dragons
Randzone
Reisenotizen
Sinnprovinzen
Straße der Besten
vom sofa in die Unterwelt
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren