Dienstag, 2. Mai 2006

Verknüpfungen erstellen: Sprache als ethnologisches Denkmodell

Meistens gefallen mir die Sachen, die nicht stromlinienförmig dahgerkommen (mit Ausnahme der Faltbote). Genauso wie mich sperrige Dinge, Themen und Ansätze faszinieren, beeindrucken mich immer das entwerfen von Denkmodellen, die es einem einfach und in ihrer Plastizität leicht machen, komplexe Dinge einfach zu kapieren. Es ist die Verknüpfung von bisher Unverknüpftem, die meine Begierden weckt.

So hat mich bei der Abfassung meiner Doktorarbeit die open source Bewegung beeindruckt, wahrscheinlich auch, weil “die Bibel” dieser Leute “The Bazaar and the Cathedral” ist und mir der Bazaar mit der Liebste Aufenthalt in den Ländern ist, die ich so kenne.

Auch hat mich der Gedanke von Claude Levi Strauss sehr beeindruckt, der meinte Geschichtenerzähler könne man auch Bricoleur nennen: Bastler. Sie hätten einen Handwerkskasten von Anekdoten, Ideen und Erfahrungen, aus dem sie sich beim Bauen ihrer Geschichten bedienen und sich dabei nach dem Geschmack der Leute, für die sie Basteln richten. So bin ich durch viele andere Einflüsse zu einem Fan von Baukästen geworden. Baukästen haben den Vorteil, dass man immer wieder mal in den Baumarkt gehen kann und sich ein Teil dazuholt, mit dem man bisher nicht gearbeitet hat.

Ausgangspunkt für die hiesigen Überlegungen war der Umstand, daß ich nach einer Methode suchte, den Sozialismus der zwanziger und dreißiger Jahre in der Sowjetrepublik Turkestan zu beschreiben. Mir kam die Idee, dass alles was ich aus den Archiven der Museen herausholte keine Vergangenheitsbeschreibungen waren sondern Narrative. Schlüsselsituationen in der Zeit des Aufbaus des Sozialismus, zu denen man sich positiv zu verhalten hatte, wollte man Anerkennung im neuen System. Man mußte die Konterrevolution bekämpfen, mußte die Boden Wasserreform mitgestalten, der Kollektivierung voranhelfen, die Alphabetisierung der ländlichen Bevölkerung vorantreiben... Narrative hörten sich an wie Fälle in einem Deklinationsystem, welches ich dann “Die Deklination der Wirklichkeit” nannte. Aber andere Formen des Sozialismuses ließen sich aus dem Grammatischen Modell heraus erläutern: Konjunktiv (die Allgegenwärtige Lüge im System), Superlative (das Bilden von Heldenmodellen), Subjekte (fremde Aktivisten, die Familien, die kleinen Chefs) usw. Und das spannende daran war, man konnte mit der “Gramatik der Roten Zone” auch erklären, warum sovieles nach dem Zusammenbruch schnell aus dem Leben der Menschen ausgeschieden wurde, und warum sovieles immer noch in ihnen fortlebt: Sprachen kann man verlernen, aber Teile von ihnen bleiben länger im Gedächtnis.

''Nina nina, tam kartina eto traktor i motor''

So und nun kommt der Punkt, auf den ich eigentlich zu sprechen kommen wollte: die Verknüpfung von Ethnologie und Sprache als Denkmodell. Eigentlich soll dieser Ansatz kein Oberlehrerepos sein, sondern die Einladung zum Mitdenken. Sprache ist eine der vielleicht dynamischsten Methoden Bedeutungen zu produzieren. Sie ist höchst individuell, kann aber ohne Sprachumgebung nicht existieren. Von einer Sprache gibt es mannigfaltige Varianten: Soziolekte, Dialekte, Creole, Pidgins usw. Sie zu produzieren ist ein indiviueller Schöpfungsprozeß, der aber vom Korrektiv des Kollektivs stark reglementiert wird. Sprache und ihre benutzung ist ein ritueller Akt, der Nähe wie Distanz erzeugen kann, je nach Intension des Sprechers.

Die Sprachwissenschaft und die Methoden, diese zu erklären, sind weit fortgeschritten. Sie blieben auf der Ebene der Kategorien ohne Konnotationen, keiner würde behaupten ein Genitiv ist schlecht, er wird nur in der Umgangssprache wenig gebraucht. Genauso wie keiner behaupten, würde ein Futur II ist schlecht, zum Erzählen von Geschichten ist übermäßiger Gebrauch nur unpassend, da er weniger Spannung aufbauen kann als ein Präsens, das in den meisten Sprachen auch auf das Futur ausgreift.
Mann kann also sprachwissenschaftlich die meisten willkürlichen Sprachäußerungen der Menschen beschreiben, ohne das hier Hierarchisierungen oder kausale Verknüpfungen nötig sind wie es (eine) Geschichte verlangen würde. Man hat eine Menge sprachlicher Elemente, kann aber mit nur wenigen von ihnen schon Bedeutung in der sozialen Kommunikation herstellen. Der Beobachter und Aufsteller eines Regelsystems erhebt keinen Anspruch auf Art und Weise der Benutzung einer Sprache. Er ermöglicht aber das Erlernen von Elementen dieses Systems. Hier greift der Punkt der Verknüpfung von Ethnologie und Sprachmodell. Kann man einfach die Sprachwissenschaft ausweiten und ihr nicht nur eine Sprachbeschreibung des Albanischen zutrauen, sondern auch die Sprache z.B. der Ungleichheit?
Ein Versuch:

Die Sprache der Ungleichheit,


Subjekte (Personen, die im empirischen Kontext unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen der Macht, Produktion usw. haben)

Die Flexion der Verben

sein (Bildung der Vergangenheit von Gruppen von Minderheiten, Präsensbeschreibungen (biographische Notizen), sowie Zukunftsvorstellungen)

haben (ungleichmäßige Verteilung von Besitz und die Auswirkungen von besessen haben, zu besitzen und dem Wunsch danach zu besitzen)

können (ungleichmäßige Partizipation an Erwerbsmodellen: Selbständigkeit, Angestelltenverhältnisse, Meisterschaft, Verwaltung, Direktion usw.)

Deklinationssystem der Ungleichheit


Wer (unterdrückt, raubt aus, übervorteilt, überlistet)
... wessen (Besitz) ?
... mit wem ?
... wen?
... durch wen ?
... wo ?


Sprache kann also als Erklärungsmodell zur Überwindung des Widerspruches zwischen Ungleichheit und Gleichheitssgedanken dienen, das Erklärungsmodell jedoch verzichtet auf Konotationen und Hierarchien usw.
Neben dem Festhalten des Regelsystems, kann aber auch auf den Spracherwerb (Biographien in Bezug auf das Phänomen der Ungleichheit), auf Sprache ihrer Vermittlung durch die Gemeinschaft (sozialisierende Prozesse) und und und hingewiesen werden , das System ist mit jedem Paragraphen ausbaubar und doch verfälscht es nicht das Bild, es macht es nur dichter und die Empirie handhabbarer.

So, und nun meine Einladung zur Partizipation:
Die Spezialisten gerade in (Maschinen-) Sprachen und ihrer Anwendung sind die Informatiker und Computerspezialisten. Sie beherrschen die verschiedensten von ihnen aber auch ihre Regelsysteme. Informatiker nähern sich auch immer weiter der (menschlichen) Sprache, der Grammtik an (oder waren ihr schon immer nahe). Wie ich hörte, sagen sie, daß Programme und die Handhabbarkeit komplexer Vorgänge besser und damit ähnlich dynamisch funktionieren würden, wie Sprache, wenn sich Programme dem sprachlichen System anpassen würden. Hier kann sich ein Programm aus unterschiedlichsten Elementen selbst und kreativ schöpfen. (Ist XML schon eine Entwicklung davon?) Diejenigen, die aus der Informatikerbranche kommen, werden nur müde die Stirn runzeln und sagen, man was weiß der denn von uns? Und ich gebe gerne zu: Nicht wirklich viel. Aber ein gemeinsames Interesse ist vorhanden: die Nutzung von menschlichen Sprachen zur Behandlung komplexer Systeme, wie es Computerprogramme aber auch die menschliche Gesellschaft, die Fremde obendrein (Ethnologie) sind.

Und für alle die, die nicht zu denjenigen gehören, die nun schon zig Mal die Finger gehoben hätten. So what? Nun ja, kann mir jemand auf die Sprünge helfen, wie menschliche Sprache in der Informatik mittlerweile mitgedacht wird?

Montag, 1. Mai 2006

zwei Beispiele

Mal was Neues...

Eigentlich kann ich mich nicht beklagen, daß mir irgendwie fad sei, ganz im Gegenteil. Es liegt 'ne Menge Mist auf der Halde, der unter die Leute gebracht werden will, aber ich schiebe meine Frühjahrsmüdigkeit vor mir her .... Obwohl ich sowas noch nie hatte.

Aber trotzdem, ich habe ein neues Projekt ins Auge gefasst: Ick schreibe zusammen mit Kumpel ein Hörspiel. Das hatte ich vor Jahren mit Stralau schon mal vor, haben es aber wie so viele Projekte vertrocknen lassen. Diesmal ist das Hörspielprojekt auf solideren Füßen. Es wird eine Wiederaufnahme eines Jules Verne Stoffes. Besonders geheim ist das nicht, besonders spruchreif ist es aber auch nicht, deswegen hier keine hard facts. Ich werde in Zukunft immer mal wieder was dazu schreiben. Dies war nur die Einleitung für eine kleine Empfehlung.

Neulich traf ich mich zum Zweck der Netzwerkknüpfung mit EINEM aus dem Inneren Kreis der Hörspielmacher beim Hörfunk. Der sollte sich mal anhören, was wir vor haben und sollte uns sagen, wie man das Grundsätzliche an einem Hörspiel anpackt. Wir hatten uns seit Jahren nicht gesehen, erkannten uns sofort und der knallte mir zwei CD's auf den Tisch, die eine war eine Folge eines Hörspieldreiteilers von Jules Vernes "In Achtzig Tagen um die Erde"

die andere CD war das Kriminalhörspiel, "Nackt in Berlin."

Sie waren nicht nur durch sich heraus existent, sondern sie sollten einem höheren, pädagogischen Zweck dienen. Es waren zwei Beispiele, sagte er. Das erste war eines, das als schlechtes Beispiel dienen sollte: Es war hochdotiert, hatte lauter geile, heiße Schauspieler (Axel Milberg , Boris Aljinovic beides Tatortkomissare aus Kiel und Berlin) aber durch Umsetzung des Stoffes und Regie ein mordsmäßig langweiliges Teil eben.

Das andere, das gute Beispiel setzte sich nicht nur um Längen vom Hörspiel Nummer eins ab, ich setzte mich sogar für es eine Stunde lang hin. Man wollte gar nichts mehr nebenbei tun -- nur hören. Leider ist das Hörspiel nicht noch irgendwie in der Hörspielredaktion online gestellt. Aber wer hinmailt, sollte vielleicht Glück haben das Hörspiel zugesendet zu bekommen.

Neben ein paar Bier einer netten Unterhaltung sprangen sogar noch eine Menge Tipps an diesem Abend heraus, Hörspielautor zu werden. Falls ich das Projekt nicht austrocknen lasse, steht in diesem Blog immer mal wieder was drin.

Montag, 24. April 2006

Zwischenraum

Spiele, Spieltheorie, Spielfeld, Spielausstellung, Spielzeug,
Schiedsrichter,
Ich kann es schon nicht mehr hören. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich drei Jahre mit Spieltheorien herumgeschlagen habe, dass ich praktische Erfahrungen als Ethnologe im Feld gesammelt habe, dass ich meine Rote Karte bekommen habe ... Aber was sollen hier persönliche Befindlichkeiten. Spielthemen gibt es zu Zeiten des Fußballwahns genug. Aber ein Projekt, welches jetzt ins Leben gerufen wurde, geht noch von unfertigen Gedanken aus und versucht neue Konzepte in den Zwischenraum zu werfen. BLICK.SPIEL.FELD
versucht den Zwischenraum das Feld zwischen Betrachter und Spieler als Beschreibungsraum zu öffnen. Nicht das das nicht auch schon Georg Simmel und Hans Ulrich Gumbrecht gemacht hätten, hier taten es zwei schlaue Männer, jeder für sich. In dem vorliegenden Projekt geht es um die Menge der Beteiligten, das Ganze Netz als Spielfeld. Huch ich schreibe nun schon so viel, als wäre es fast mein eigenes. Schaut rein, gutes Projekt.

Donnerstag, 30. März 2006

Deutsche Anomalie(n)

Das Thema Kinder ist wohl ähnlich wie das Thema Sex! Ein jeder kann sie/ihn haben, meint er zumindest und meint deswegen auch was davon zu verstehen. Und ein jeder meint was drüber schreiben zu können. Und immer wenn jährlich die Demographiekurven gezeigt werden, dann artet eine ganze Journalie aus zu Volkskundlern, Erziehungswissenschaftlern und Ratgebern der „Nation“.

Gerade wieder einmal hat die ausländische Ethnologie von einem Thema zu „Deutschen“ von sich reden gemacht: Die Arbeit eines afrikanischen Ethnologen zu dem Thema „Deutsche und Haustiere“, besonders „der Deutsche und sein Hund“.

In den Besprechungen dazu kommt der Satz vor:

Hundeversicherungen, Schönheitssalons, speziell auf Vierbeiner abgestimmte Nahrung und Hundefriedhöfe sind aus afrikanischer Sicht absurde Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft. In Kamerun suchen die Tiere im Müll nach Nahrung und schlafen unter freiem Himmel. Ndonko kommt zu dem Schluss: «Die Desintegration der Familie hat sehr dazu beigetragen, dass in die deutsche Familie zunehmend Hunde integriert werden.»



Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern um die auffallende Parallele zu Anomalie sozialer Beziehungen. Im Elternblog der Zeit beschreibt der Autor seine Tochter als Prinzessin, viele Blogger haben Beiträge über ihre lieben Kleinen im Netz, so als ob der Weg in die Adoleszenz der kleinen Bälger eine Nachricht für die Welt ist. Derjenige der Kinder hat, stellt sie dar, als ob sie die einzigartigsten Wesen dieser Welt wären. Das ist der Beginn der Anomalie.

Vor ein paar Jahren habe ich einmal einen alten Mann (jenseits der 70) in muslimisch Mittelasien getroffen, der meinte er hätte 56 Kinder. Ich war bass erstaunt. Dann rechnete ich nach. (Man muss dazu wissen Kinder sind bei ihm Kinder und Kindeskinder usw. gewesen.) Nimmt man nun an, dass ein 70 Jähriger auf drei Generationen Kinder blickt, und man legt die unterdurchschnittliche Zahl von 4 Kindern pro Paar zugrunde, dann kommt man auf 64 Kinder, Enkelkinder und Urenkel. Leuten aus solchen Umgebungen etwas von Elternbriefen, Elternblogs und jede Menge Glossen über die Lieben Kleinen zu erzählen, ruft müdes Lächeln hervor.

Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern um die auffallenden Unterschiede zwischen dort und hier. Die Erziehung Europas hat andere Erziehungsmodelle entwickelt als die Gegenden mit normalen Beziehungen für Kinder.

Erziehung in Europa sieht so aus:
west
Die obere Kurve ist die der Mutter und die untere die des Kindes. Das Kind wacht auf, ruft die Mutter/Vater. Die Mutter/Vater nimmt es zu sich und beschäftigt sich mit ihm. Das Kind und die Mutter/Vater kommen im Wachzutand zusammen und zwar auf konfrontative Weise. Manchmal nennt man das auch Erziehung. Man kredenzt dem Kind pädagogisches Spielzeug, beschäftigt sich kurzerhand vor allem mit ihm. Irgendwann wird es müde, verlangt nach Schlaf, die Mutter legt es in eine ruhige Umgebung ab. Irgendwann wacht es auf und das Spiel beginnt von vorn. Das ist europäische Normalität und hat seine historischen Wurzeln.

In Asien sieht Kindererziehung so aus:
ost
Die Kinder sind immer bei anderen Älteren, mal die Mutter, mal die Tante, mal die ältere Schwester. Dort schlafen sie ein und wachen sie auf. Sie gehören dazu, sind aber nicht Teil eines spezielleren Interesses. Man spürt sie bei sich und geht mit diesem Wissen sorgsam um, sie bilden aber für keinen einen Mittelpunkt. Ist man in diesen Gegenden unterwegs wird man feststellen: Es gibt kein Kinderzimmer, es gibt kein Kinderspielzeug. Es gibt wenige Kindergärten, aber es sind jede Menge Kinder da.


Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern nur um einen Punkt, und zwar den Hunde Bezug zur Anomalie von Oben:

Man könnte ihn anwenden auf unsere Gesellschaft und ausführen:

Ausbildungsversicherungen, teure Indoorspielplätze, speziell auf Kinder abgestimmte Nahrung usw. sind aus Kinderlandsicht absurde Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft. In Kinderland spielen die Kinder auf der Straße und schlafen in der Küche ein. Da muß man doch zum Schluss kommen: Die Desintegration der Familie hat sehr dazu beigetragen, dass in die deutsche Familie zunehmend Diskussionen um Kinder integriert wurden. Und man muß weiter gehen: diese Gesellschaft hat aufgehört, sich zu reproduzieren. Die Vorzug wird von den meisten der eignenen Wohlhabenheit gegeben. Kinder haben keinen Platz mehr in ihr. Und da wir es nicht wahrhaben wollen, sucht wir unsere Fetische: Elternblogs, Demographiekurven und jede Menge leere Worte.


Das ist die wahre Anomalie.

Hilfe für Anna! neue Ansätze

Anna Amalia und die Tragödie um diese Bibliothek in Weimar ist wohl jedem, der in den letzten Jahren mal eine Bibliothek aufgesucht und dort die Spendenaufrufe gesehen hat, ein Begriff. In Anna Amalia sind bisher, trotz der großen Anteilnahme von öffentlichen und privaten Spendern, immer noch 60.000 Bücher verloren, viele davon unwiderbringlich.

Jetzt ist eine Initiative gestartet, die verlorenes Kulturgut mittels kreativer Rekonstruktion zurückholen will aus dem Hort des Vergessens: “Invent lost things!” ist eine Initiative die gerade erst gestartet ist und weltweit Mitstreiter sucht.

Die Initiative scheint immer noch ein paar Probleme mit dem design ihrer Seite zu haben aber das wesentliche kann man hier erfahren.

Mittwoch, 29. März 2006

Jenseits der Moral

Wenn ich was zu tun habe, vor allem, wenn ich was schreibe, dann fehlt mir die kreative Energie zum Bloggen. Aber das ist gerade wieder mal nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, ich habe gelesen und gelesen in Vorbereitung eines Seminars. Thema: Ungleiche Gruppen, ungleiche Verteilung und das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität). In diesem Zusammenhang fielen mir die Schriften des Soziologen Dahrendorf auf, der in den fünfziger Jahren in der Zeit, als noch Debatten geführt wurden, mit Sigrist um die Interpretation des Wesens der Ungleichheit und der Macht stritt. In diesem Zusammenhang meinte er sehr eindrücklich, die Geschichte der Interpretationsversuche der Ungleichheit in der Soziologie ist gleichzeitig die Geschichte der Soziologie von Rosseau über Marx bis Weber. Dahrendorfs Kerngedanke, zur Ungleichheit findet sich in den Werten. Eine Gesellschaft, die nicht wertet, die keine Moral hat, die gibt es für ihn nicht. Wer sich nun den Werten getreu verhält, der erlangt immer mehr Prestige und Macht als derjenige, der sich passiv diesen Werten beugt oder gar gegen sie arbeitet.

Soweit so gut. Mit den Erfahrungen aus einer Diktatur des Proletariats und einer Wohlfahrtsgesellschaft mit Meinungsfreiheit kann ich diesen Gedanken sehr gut nachvollziehen. Doch bleibt in jeder Beschreibung etwas offen: die Zukunft.

Wird die Beschreibung der Ungleichheit irgendwann über die These zur Moralischen Gesellschaft hinausgehen und finden, dass es sehr wohl Gesellschaften ohne Werte und Moral geben würde? Gibt es eine Zone jenseits der Moral, wie Nietzsche sie fordert?

Dienstag, 7. März 2006

Im Zigeunerlager

Gerade habe ich einen lieben Hinweis einer Kollegin auf Ihre eigene Seite bekommen, in der sie über eine Fahrt in die Ukraine und ihren Erlebnissen im Zigeunerlager erzählt. Sehr schön geschrieben, sehr schöne Fotos, ja, das ist das Leben, das pralle! Ich beneide sie!

Albert von LeCoq (IV) und Berliner Sitten

Ich erinnere, diese Reihe gibt ein paar Ergebnisse wieder, die Albert von LeCoq ind Karachodscha, NordwestChina erlebte, die Gegend um die Taklamakan, die man gemeinhin Sinkiang (Xinjiang) nennt:

Ich saß ziemlich verdrießlich über der Arbeit, währen Bartus im Hofe noch hämmerte. Da besuchten mich die Notabeln der Stadt, würdige alte Herren, und hielten ungefähr folgende Ansprache: " Herr, Ihr reist jetzt fort, lange waret Ihr hier, reich sind wir alle geworden. Viele habt Ihr umsonst von Ihren Krankheiten befreit; leider habt Ihr unsere Töchter nicht heiraten wollen. Aber wir haben Euch als gutgeartete Menschen befunden. Wir bedauern, das Ihr geht, und nun haben wir noch einen Wunsch. Wenn nämlich wieder so vornehme Leute vom Hof des großen Kaisers Gillehallem (Wilhelm) zu uns kommen, dann möchten wir sie so begrüßen, wie es die Vorschrift am Hofe des großen Landes Bälin erfordert."

Ich stöhnte etwas, antwortete aber in schön gesetzten Worten, dankte ihnen für die Aufmerksamkeit, und sagte ihnen, ich hätte noch zu tun, denn wir wollten ja fort. Was den Gruß anginge, so würde mein "Held" ihnen beibringen, wie der König und die Vornehmen einander grüßen.
Ich komplimentierte sie hinaus und rief Bartus zu: "Herr Bartus, die Leutchen wollen wissen, wie man in Berlin sich auf vornehme Art begrüßt." Bartus rief: " Dat wer ick sie schon lernen." Ich ging wieder an meine Arbeit und als sie fertig war, hörte ich draußen noch allerhand Kommandorufe, und siehe! Bartus hatte die 15 alten Herren aufmarschiert, drei breit und 5 tief, sie machten ihre Diener, erst nach rechts, und sagten ganz deutlich: "Guten Morgen, olle Schafsneese", dann wandten sie sich nach der linken Seite, machte ihre Diener und sagten: "Guten Morgen, olle Schnapsneese".
Es war so komisch, das ich mit Mühe das Lachen verbiß. Hochbeglückt empfahlen sich die Leute und als Grünwedel 6 Jahre später eintraf, kamen sie heraus, machten ihre Verbeugungen höchst feierlich und begrüßten ihn nach der Hofsitte von Bälin.


Das war's es ersteinmal mit den Erlebnissen , dieses wunderbaren Wissenschaftlers. Wer mal nach China reist und in den Nordwesten will, der sollte sich unbedingt seine zwei Bücher "Auf Hellas Spuren in Ost-Turkestan" und "Von Land und Leuten in Ost-Turkestan."

Montag, 6. März 2006

Es tanzt ein Bi-ba-butzemann ...

Es tanzt ein Bibabutzemann in unserm Haus herum, fidebum!

Das, was sich hier so nach Kinderidylle anhört, ist im eigentlichen Sinne, laut Wörterbuch des Aberglaubens ganz anders zu verstehen: der Butzemann -- “Bojse Mann” ist der “Böse Mann”! In der Schweiz heißt er Buschebau, in Östererreich mal so, mal so.

Und uns wird eingetrichert, die Eltern sollen ihre Kinder nicht mit Angstmachen erziehen. Dabei drohte mein Opa immer ganz schamlos, wenn wir nicht schlafen wollten, im Kohlekeller sei das Bett schon für uns gemacht. Er würde, wenn wir nicht aufhören, einen von uns da rein schicken! Die Unterwelt, jaja, damit macht den Kindern gerne Angst.

Ich singe ab jetzt für meine Kinder verständlicher:

Es tanzt ein richt'ger Schei - heiß Kerl in unserm Haus herum, rattatum!

Albert von LeCoq (III) und die Berliner Handschriftensammlung

Hier der vorletzte Teil der hübschen Einblicke in Wissenschaftsgeschichte:

Bartus war, wie schon bemerkt, überall ein großer Favorit. Seine natürliche Heiterkeit, seine herkulische Kraft, und seine große Gutmütigkeit gefielen den Leuten. Wir haben zusammen viel gelacht.
Eine Tages sagte ich ihm( Bartus): "Herr Bartus, hier ist die Blechdose mit getrockneten Heidelbeeren, die als Mittel gegen Durchfall mitgenommen worden sind. Es sind aber Käfer hineingekommen und Sie können den Inhalt ausschütten. Die Dose wollen wir verwahren, um Manuskripte oder derartiges hineinzupacken."
Am nächsten Tage kam Bartus mit einem Stoß schöner, alter Handschriften. Ich fragte ihn :"Aber , Herr Bartus, wo haben sie den Kagaz (Papier) her?" " Jawoll , Herr Doktor," sagte er , "wie ich gestern das Zeug wegschmeißen wollte, da kamen ein paar von den alten Herren und die fragten mich, was ich da hätte. Da habe ich ihnen gesagt, das sei ein Verjüngungsmittel. Da wollten sie alle davon haben. Ich sagte ihnen aber, erst müßt ihr ordentlich Kagaz bringen und siehe, gleich brachten sie mir den ganzen Stoß. Ich habe ihnen dann davon gegeben und heute morgen waren sie schon wieder da und wollten mehr haben. Sie haben es alles gegessen, Beeren und Käfer, und behaupten, es hülfe ausgezeichnet."

Sonntag, 5. März 2006

Albert von LeCoq (II) und das Fremdgehen

Hier ein zweiter Teil aus den Reiseerzählungen:

Als wir lange Zeit dort (Karachodscha) gehaust hatten, besucht eines Tages uns der Kasi und der „Große Achund“, ein geistlicher Würdenträger, und es entspann sich ungefähr folgende Unterhaltung: „Herr, Es ist nicht gut , daß Ihr alleine lebt. Ihr müßt antwortete: „Wir sind ja verheiratet. “Darauf der jene: „Ja, Eure Frauen sind aber viele tausend von hier entfernt, hier müßt Ihr Frauen nehmen. Meine Tochter und die Tochter des Richters (Kasi) sind bereit, mit Euch den Bund der Ehe zu knüpfen.“ Dies war eine unangenehme Eröffnung. Wie sollte man die angesehenen Leute loswerden, ohne sie zu Kränken ? Ich dankte Ihnen zunächst und sagte Ihnen dann: „Freunde, Ihr wißt, daß die Chinesen hier Spione haben, die alle Woche einen Bericht nach Peking schicken, welcher unserem Gesandten übergeben wird. Der schickt den Bericht an den großen Kaiser Gillehallim (Wilhelm), in dem großen Land Bälin. Nach unserem Gesetz dürfen wir nur eine Frau heiraten. Wenn der große Kaiser erfährt, das wir hier geheiratet haben, was, glaubt Ihr wohl, das uns passiert?“ Sie strichen sich die Bärte und sagten, das wüßten sie allerdings nicht, worauf ich ihnen erklärte, daß wir dann unfehlbar 25 mit dem „großen Stock“ aufgezählt bekämen. Da entsetzten sie sich über unsere Barbarei und empfahlen sich mit Ausdrücken des Bedauerns und der Freundschaft.

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Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

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