Donnerstag, 1. Juni 2006

Neulich auf dem Hof (unerfüllte Chiasmen)

Ich stehe zitternd mit einem Kaffee in der Hand und rauche.

Sagt er: Dir ist wohl auch kalt.

Sage ich: Ja, ist doch auch eine Scheißkälte.

Sagt er: Naja, wie sie gestern bei Wetter im Ersten erklärt haben, soll das wohl jetzt die Schafskälte sein. So nennt die sich jedenfalls. Kommt jedoch eigentlich immer erst Mitte Juni.

Sage ich: Jaja, die Wetterfrösche. Und was ist, wenn es Mitte Juni auch nochmal so kalt wird?

Sagt er: Naja, dann ist die jetztige Schafskälte vielleicht doch nur 'ne Scheißkälte gewesen.

Kabul: Aus dem Inneren Kreis

Ich führte gerade mit einer wirklichen Spezialistin aus Kabul folgende schriftliche Konversation.

Ich: ... Ansonsten höre ich vom Volksfest aus Kabul. Und in der deutschen Presse sind die Meinungen klar: die Afghanen sind enttäuscht von den westlichen Versprechungen. Boa, überall ist hier der Stumpfsinn zu Haus. Die Afghanen sind wahrscheinlich nicht enttäuscht von den Verheißungen der Mission civilisatrice, sondern aufgebracht über die seit Jahren anhaltenden Gängelungen der Besatzer.

Naja, Du wirst es besser wissen.

Sie: Das afghanische Volksfest ist wirklich böse. Die dortigen Verschwörungstheorien noch nicht einmal voll ernst genommen, würde ich dennoch annehmen, da kochen wieder mal ganz üble Süppchen, und ich fürchte, was letztlich auf den Teller kommen wird, ist gar nicht gut.
[...]
naja, was soll man sagen. Leider ist das Leben dann auch so traurig und nicht nur so schön, wie es noch vor 5 Tagen durch meine Augen aussah.

Mittwoch, 31. Mai 2006

Ecriture Automatique

Den Surrealaisten war langweilig. Und Mutti hatte kein Spielzeug dagelassen. "Na, dann nehm ich halt nen Stift, sagten sie sich, und kritzle ewas aufs Papier." Dass nannten sie, gelangen ihnen Worte zu fabrizieren, ecriture automatique. Das gleich habe ich gemacht, als ich gestern in den Berliner Lehrter Stadtbahnhof einfuhr. Ähm, Hauptbahnhof heisst der ja jetzt, den Lehrter konnte man ja wegschmeissen, das Ding war scheisse alt, ok, ich verbrenn mir den Mund. Hier ersteinmal das Gekritzel, Echtzeit auf der Strecke ein paar Minuten vor Berlin.

Jetzt bin ich also auf die neue Strecke gefahren, anders als früher, wo sich, kommt man aus Süden, die Vorstadt Berlins in Schönefeld ankündigt. Neue Schienen, neues Grün, die der Schnellzug durchfährt. Lichterfelde Süd -- S Bahn kündigt die Nähe der Stadt an. Ich werde nun also das erste mal vom direkten mittleren Süden in die mittlere Mitte einfahren, wo es früher nichts anderes gab als Wüste. Wo mich immer noch nichts anderes erwartet als Wüste. Eine Strecke die es zu durchqueren gilt, an der nichts anderes existiert als die aufgezwungene Passage. Eine komische Station wurde angekündigt: Südkreuz. Als ob hier ein Kreuz existiert, daß einen dreht, wie andere Drehkreuze in und um Berlin. Das war mal. Bald vielleicht bald wieder... Aber auch jetzt noch nur eine Wüste, die eine Passage zu anderen Stationen nötig macht. Das erste Mal halte ich in meinem Pendlerleben im Südkreuz. Beton, Beton und Glas. Als ob die einzige Bausubstanz, die Ewigkeit verspricht, eine gegossene Masse chemischer Baustoffe sei. Die immer gleich Bahn ComputerStimme "`Lara Croft bittet"' zum Einstieg und zur letzten Passage, unterirdisch vom Neonlicht erhellt. So sieht also die Zukunft aus, unterirdisch in die Moderne vordringen und postmodern sein. Die Bahn fährt subversiv. Und bei aller Subversivität wurde uns immer und immer wieder auf die
Gefahren der Tunnelfahrt hingewiesen. Die Leute jedoch spüren nichts als den Drang bald auszusteigen. Kaum einer sitzt und genießt. Sind sie alle schon mal diese neue Strecke gefahren, dass ihnen so wenigh daran liegt, zu sitzen und zu spüren, wie die Bahn ihr dunkles Wunderwerk vollbringt? Huschende Lichter kündigen vom nahen Ende der Fahrt. Potsdamer Platz, wusch durchgerauscht. Keine Zeit mir eine Zigarette anzuzünden, schreiben in Echtzeit verlangt kein Innehalten. Genauso wie die Stehenden rastlos von einem Bein auf andere, hämmern meine Finger auf die erhellte Computertastatur im beleuchteten Wagon. Da draußen nur ein Dunkel und die erhellende Sicht auch den Lehrter Stadtbahnhof eine Sinfonie aus Beton und Glas.


[Hier endet die Zugfahrt. Der Rest kommt in der Rückschau.]

Doch auch wenn der Komponist es anders wollte, die verschiedenen Kontrapunkte in seinem Werk aufgehen lassen wollte, so waren dem Dirigenten die Hände gebunden. Er hatte keine Musiker zur Verfügung. Naja, dachte er sich, aufführen muß ich das eh. Dann sollen sie eben hören, wie Musik ohne Musiker klingen kann. Es leiden nicht nur die Architekten unter ihren Mäzenen auch die Komponisten. Hörte man nicht immer und immer wieder die dicken feisten Komponistenmäuler durch den noch feistereren Historikermund die Worte sagen: "So kann ich nicht arbeiten. Jeden scheiss Sonntag eine Kantate und dazu noch die Festtage, da soll ich eure Rossetten mit einem Requiem oder einem Oratorium einbalsamieren..." (oder so ähnlich.)

Naja. Nun ist er also da. Wegreissen kann man ihn auch nicht mehr. Ein Krieg will man auch keinem wünschen, also was solls steige ich also immer in der Wüste aus.

PS. Kennt jemand Warschawa Centralna? Da gabs die Idee des unteridrischen Bahnhofs schon vor 30 Jahren. Sieht genauso aus. Und wenn nach 30 Jahren Architekturpraxis die einzige neue Idee zwei Stockwerke mehr ist, dann kann man nur sagen: Scheiss Westen! Mama! Ick will mainen Osten zurück... da zählten Prestigeobjekte noch zum Stolz einer selbstherrlichen Nomenklatura. Hier feiert die Presse nur die Größe nicht den Verstand. Also, naja, Anerkennung braucht der auch nicht wirklich.

Montag, 29. Mai 2006

Lehrmeister Lynch

Gerade erreichte mich diese Nachricht einer Kollegin.
Im Folgenden geht es um eine Säuberungsaktion unter einer Zigeunergruppe im Elsaß, die Richter Lynch im Mitteleren Westen nicht besser hätte machen können.

" Zippo-Attacke"
Frankreich: Die "Wracks" [ Zigeunerwohnwagen] abzuschleppen wäre der Kommune schlicht zu teuer gekommen. Als Mann der Tat beschloss Michel Habig, der Bürgermeister des elsässischen Dorfes Ensisheim bei Colmar, die 14 Wohnwagen einer nicht genehmigten Siedlung kroatischer und rumänischer Roma kurzerhand abzufackeln. Das geschah im Januar. In der vergangenen Woche wurde er wegen "Zerstörung von Gütern mit gefährlichen Mitteln" zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und 5.000 Euro Geldstrafe verurteilt.
Die "Säuberung" habe er auf den "Druck der Bevölkerung" hin veranlasst, sagte Habig der Tageszeitung l´Alsace. Tatsächlich hatten sich tausend Einwohner auf einer Unterschriftenliste für das Vorgehen ihres Bürgermeisters ausgesprochen. Auch bei der Verhandlung in Strasbourg füllten seine Anhänger den Gerichtssaal. Die vier an der Tat beteiligten Polizisten wurden freigesprochen. Einer von ihnen hatte nach der Tat im Internet Fotos von der Brandstiftung veröffentlicht und dazu angemerkt, er habe eine seiner Phantasien realisieren dürfen: eine "Zippo-Attacke" auf ein Zigeunerlager.


Da kommt man also auf dem Weg vom Sofa in die Unterwelt mit einer Bewährungsstrafe davon. Hätte, hätte [er ein Villenviertel angezündet, einen Supermarkt ausgeräuchert, eine Firmenzentrale ausgebombt ... naja] liegt im Bette

Dienstag, 16. Mai 2006

wahr/falsch

Gerade das hier im Mailverteiler gehabt: eine wahr/falsch Austellung in Wien, ein kleines Zitat:

Wie funktioniert die Wissenschaft, und wie greift sie in unser Leben ein? Was ist wahr und was ist falsch? „die wahr/falsch inc.“ stellt Fragen und liefert keine Antworten, weil Wissenschaft und Kunst nie Antworten liefern, sondern immer nur neue Fragen stellen können.

Donnerstag, 11. Mai 2006

Na, schönen Dank Herr Enzensberger! Offener Brief

Der von Ihnen, Herr Hans Magnus Enzensberger, gefeierte Essay über die “radikalen Verlierer” machte ja nun seit seinem Erscheinen im Spiegel die große Runde, jetzt ist Ihr Büchlein dazu herausgekommen und wurde just letztens in der Zeit mit “Danke, Enzensberger” betitelt.

Und wirklich, die Studie fängt schön an, ist ein brillianter Essay über die Motivationen alleingelassener und sich ihrer eigenen Unfähigkeit gewissen Verlierer, die allwöchentlich in den Boulevardblättern ihre fröhlichen Urständ feiern. Wir wissen es seit Natural Born Killer, seit Bowling for Columbine, seit Nietzsche... Wie sagt da Nietzsche in seinem “Jenseits der Moral”?: Es haben manche Intellektuellen "einen lüsternen Geschmack am Befremdlichen, am Schmerzhaft - Paradoxen, am Fragwüdrigen und Unsinnigen des Daseins, [...] oder endlich ein wenig Gemeinheit, ein wenig Verdüsterung, ein wenig Antichristlichkeit, ein wenig Kitzel, und Bedürfnis nach Pfeffer."

Soweit so gut, die Studie ist ein hervorragendes Porträt eines Verlierers unserer Gesellschaft, der Moderne mit ihren Eigentümlichkeiten für Individualisierung, Komplexifizierung, Wertebildung aus Arbeitsethik, Wertschöpfung usw. Doch das sind die ersten 24 Seiten Ihrer 52 Seiten umfassenden Broschürche. Was geschieht in der anderen Hälfte des Buches? Sie, Herr Enzensberger besitzen den Mut und wagen sich heraus aus der Ihnen wohlbekannten modernen Welt und versuchen die islamischen Länder und wie Sie selber sagen ihre “Mentalität” zu verstehen.Und das (mit Verlaub) Herr Enzensberger, das ist völliger Nonsens. Aber ich schähme mich schon meines “völlig”, denn Ihre essayistische Stärke schafft es, Ihnen bis zur letzten Zeile ihres Werkes zu folgen, ohne das einem langweilig wird. Manchmal jedoch, manchmal wird einem schlecht dabei. Warum? Sicher nicht aus der oberlehrerhaften Arroganz von einem der es besser wissen will, sondern weil ich in Ihnen einen Kulturkämpfer entdecke, der eben das, was er am Anfang kritisiert in der zweiten Hälfte des Essays immer und immer wieder macht: Wertedisskussion. Doch, mit welchen Werten beschäftigen Sie sich: mit den Werten der modernen Welt und nicht mit den indigenen Wertesystemen der 1,8 Milliarden, wie Sie uns vorrechnen, Muslimen.

Um das nun aber stichhaltig zu begründen, muß ich ein bißchen mit meiner Kritik ausholen.
Ihre Analyse der westlichen Welt und ihrer Einzelgänger stützt sich, und das ist sicher richtig, auf den isolierten Einzeltäter, den keine Menschenseele wahrnimmt und wahrnehmen will.
In ihrem Fußnotenapparat darf man Wolfgang Sofsky finden, der mit seinem “Traktat über die Gewalt” genau diesen Ansatz der Gewalt des Einzeltäters, nicht des Kollektives ebenfalls vertritt.
Da Sie sich aber nun mit ihrer Einschätzung der islamischen Welt nicht auf Ihre eigenen Beobachtungen berufen wollten, haben Sie ja nun ein bißchen nachgelesen. Aber warum mußte es denn Oliver Roy sein, ein Politologe, dessen intime Kenntnisse über den politischen Islam er englisch geschriebenen Webseiten verdankt, die in der modernen Welt hergestellt und für unsere Gesellschaft geschrieben worden sind. Oliver Roy, Ihr Experte bedient sich selbst eines Küchenpersisch und ist, wenn er first class nach Iran und Afghanistan geflogen wird, sicherer im Umgang mit Muslimen ist, wenn er Übersetzer dabei hat. Sie stützen sich weiter auf Human Development Reports, die für eine Agentur geschrieben wurden (und da ist es unerheblich ob von Muslimen oder Nichtmuslimen), die sich dem Durchsetzen modernistischer Eschatologien verschrieben hat. Im Ethnologensprech heißen diese Institutionen Gutmenschenorganisationen.

Ich will mich nicht in Details verlieren, das würde ein vollständiges Kennen des Textes voraussetzen seitens derer, die diesen offenen Brief ebenfalls Lesen können. Ich will mich hier jetzt nur auf die Grundprobleme konzentrieren, an denen ihr hehres Zieles einer Analyse der islamischen (wie sie jedoch immer sagen arabischen Welt) Welt und ihres Islamismusses scheitert.
Sie brauchen für Ihre essyaistische Brillianz die Verkürzung und sehen Sie im Einzeltäter. Sie erschaffen ihn, in dem Sie einen (auch politisch) multiplen Islam zu einem gemeinsamen Islamismus konstruieren. Sie schaffen es weiterhin, 600 Jahre zusammenzufassen und auf den heutigen Zeitpunkt zu fokussieren, und dabei in Ihrer Argumentation mit Texten aus der Kreuzfahrerzeit aufzuwarten und mit Texten, die islamische Modernisten vor 100 Jahren als Kritik an ihre eigenen modernismusresistenten Landleute richteten. Das vermischen sie zu einem heutigen Präsens. Scheint es nicht schon hier sonnenklar, dass diese Texte den Leute in den islamischen Ländern heute nicht bekannt sind, vond denen sie nichts mehr wissen (wollen). Würden Sie zur Beschreibung der heutigen Lage auf römische Beschreibung der damaligen Germanen zurückgreifen?

Sie gehen in Ihrer Analyse von Einzeltätern aus, die ihre Kollektive finden, in denen sie sich aufgehoben fühlen und ihre schläfrige Gewaltmischung explodieren kann. Sie vergessen jedoch, dass im Islam es kaum Einzelne gibt, denn das hier agierende Kollektiv ist die Familie.

Sie arbeiten immer wieder mit den selbst in der modernen Welt überholten Argumente der Modernisierung. Für viele islamische Menschen können diese gar nicht gelten, da sie anderen Wertesystem anhängen. Dafür gebrauche ich Ihre Idee der Kühlschränke, Steckdosen usw. In der islamischen Werteskala steht der Händler gleich über dem Bettler, weil der, wie der Bettler weder ausreichend Land, noch ausreichend Vieh besitzt, um sich selbst zu ernähren. Ebenso steht es mit dem Handwerker. Handwerker, Bettler und Händler (und da sind wir Simmel für seine Analyse des Fremden dankbar) jedoch können es selten Leute aus den eigenen Reihen sein. Erstens, weil es anthropologisch gesehen unabdingbar ist, dass man sich eine gewisse Fremdheit behält, denn nur so erreicht man, dass der Verkehrshandel (Übervorteilung) nicht in den Gemeinhandel (fairer Tausch) umschlägt und somit in den eigenen Ruin führt. Zweitens, weil es einfach sich nicht mit den islamischen Werteskalen verträgt und schon deshalb nicht als Fehler im System oder Minderwertigkeitkomplexfördend ausgelegt werden kann, sondern als unerträglich für das eigene Los.

Ebenso unerträglich muß es dem auf Autonomie bewußten Muslimen gehen, wenn er mit allen hübsch nach (ihren) westlichen Maßstäben in einer globalisierten Welt leben muß. Die meisten (und das sind nicht die politischen) Muslime ignorieren das, was Sie hier Globalsierung nennen. Oder sie nutzen ihre Teilerrungenschaften für sich, weil die anderen “minderwertigen” Händler, Industriellen usw. “so schön doof” waren, ihnen es in den Schoß zu legen.

Der Höhepunkt Ihrer eigenen Projektion vom minderwertigen Fremden ist die Muslimen in den Mund gelegte Arroganz gegenüber anderen Wertesystemen, Religionen usw. Gewiß, es läßt sich für jede Argumentation ein hadiz oder eine Koransure finden, auch die Bibel mußte für alles mögliche herhalten aber mal ehrlich: wie lassen sich dann Phänomene wie Gastfreundschaft gegenüber jedem(!) Gast, die Hochschätzung der Mutter in jeder (!) Familie, die Höchstschätzung der eigenen Tochter (denn die verkörpert die Ehre des Vaters !) erklären. Das, was sie hier an Frauenfeindlichkeit beobachten, ist das fast Jahrhunderte alte Argument der Kulturkämpfer, das ignoriert, daß Söhne von ihren Müttern erzogen werden! Die an vielen Stellen verzeihliche Detailungenauigkeit ihres Essays öffnet hier Tor und Tür für alle, die im Islam einen Kollektivfeind sehen wollen. Übrigens ist es ein Jahrhunderte altes Topos seine Feinde zu diffamieren, in dem man ihnen Frauenfeindlichkeit und Schändung von den gesellschaftlich Schwächsten unterstellt, wie Sie es mit ihren zerstörten Krankenhausbildern aus Hollywoodinszenierungen erträumten Metaphern schaffen. Das ist ein altes Anthropinon, denn hier sammelt sich dann die Wut des eigenen Kollektivs gegen seine Feinde.

Ich wollte, ihre Analyse wäre mit ihrer Brillianz bei Phänomenen vor der Haustür geblieben, denn hier finden Sie den Stoff, der Ihnen recht gibt. Hier gibt es die radikalen Verlierer, die Visionslosen. Es sind die (nach Nietzsche) mit dem schöpferischen Nein der aus geborene Sklavenmoral geborenen Überzeugungen, die anderen zum Umsturzgedanken verhelfen. Diese lassen ihre radikalen Verlierer erkennen und das macht ihre Studie brilliant. Aber sie wird gefährlich, wenn der Verliererstatus zur Projektion wird: hierfür benutzen Sie die islamische Welt. In Ihrem Falle bleibt es nur eine traurige zum Kulturkampf geborene Projektion, die so besser nicht ausgesprochen worden wäre!

Mittwoch, 10. Mai 2006

Endlich vorbei: Dieses sind die 90er, schocken kannst Du niemals nie!

Das nun war die Realität, mit der ich aufgewachsen bin; frisch rauspubertiert aus einem System in dem die Auflehnung gegen das System schon seine fröhlichen Urständ feierte, wenn man mit Plastiktüten mit Westwerbung zu Schule ging, rein in eine fatalistische Gesellschaft, in der die Rebellion schlechterdings unmöglich war. Sie kollabierte mit dem liberalen System der alles vereinnahmenden Kapitalisten, machte aus jedem Rebellionsfurz eine “Leck mich am Arsch Fashion”. Selbst ein Negativiro wurde milde belächelt und führte in meiner Umgebung zu einem “huch!” aber zu keinem “Ach Du Scheisse!”. Mein Freund dagegen wurde mal mit seinem Iro aus einem Reisebüro rausgeschmissen. Dafür habe ich ihn beneidet, nur fragte ich nie, wo man dieses Spießerparadies finden könne. Ich wäre da auch allzugerne mal angeeckt. Wollte man also intelligent rebellieren, nicht wie meine Ex Schulkameraden mit dem Hitlergruß in der S Bahn und dem allabendlichen Zusammenschlagen von Asylbewerbern, die auf dem Weg zu ihren Heimen in deren Fänge gerieten, wollte man also intelligent rebellieren, so wie die Punkbewegung in den 80ern wo einfaches Aussehen schon die Geister scheidete, konnte man einpacken. Die, gegen die es hätte gehen können, interessierten sich nicht dafür oder waren selbst schon auf der eigenen Seite. Gegen den Irakkrieg sein, hieß mit Lichterketten von “Unter den Linden” zum “Brandenburger Tor”, da mitzumachen verriet vielleicht einen linken Impetus, war aber scheiße Mainstream. War man für den Irakkrieg, war man im Amerikanismus der CDU verfangen. War man für den Jugoslawienkrieg, reichte man der einen Mehrheit die Hand, war man gegen ihn der anderen Mehrheit. Rebellion abseits der Politik wurde in Tüten verpackt und in die Schaufenster gelegt. Als die ersten Kaufhauspuppen ihre Rastazöpfe trugen, war ich froh, meine bereits abgeschnitten zu haben.

Und nun, seit dem moralischen Aufwachen all unserer lieben süßen Neukonservativen, der Moralapostel, der Kulturkämpfer, der Exliberalen und Globalisierungseschatologen ist die Rebellion wieder möglich; endlich! Man ziehe sich eine Burqa an und gehe damit in die Schule, schwupps ist man standrechtlich, ohne Untersuchungen suspendiert. Und das schöne daran: Burqas gibt es nicht bei C und A und wird es sobald auch nicht geben. In der DDR verlangte eine auf die Klotür geschriebene Parole nach tagelangen Aussprachen. Heute ist es supereinfach. Will eine Klasse auf autonome Klassenfahrt gehen, vielleicht selbstorganisiert in die Rütlischule nach Berlin, dann ziehe man sich einfach kollektiv eine Burqa über. An irgendwelchen Vermummungsverboten sollte das wohl nicht scheitern. Sitzen die Jungs und Mädels in den Gymnasien wie in den Hauptschulen schon seit Jahren nach dem Kiffen auf dem Schulhof mit Sonnenbrillen im Unterricht und schweigen kollektiv, so ist das hingenommene Reaktion eines pupertierenden Volkes. Kleiden sie sich aber in die Tracht des Kollektivfeindes, werden sie schwupps verbannt.

Das brisante daran: Die Rebellion kommt nicht aus den warmen Stuben der verwöhnten und entvisionierten Bürgerkinder. Sie kommt aus den Reihen der seit Jahrzehnten entrechteten und mißachteten. Die dritte Generation der Wirtschaftsflüchtlinge, die keine Heimat hier bekommen und keine mehr da haben, wohin sie abgeschoben werden sollen, wenn sie nicht konform sind, begehrt auf. Nimmt sich der revolutionären Methoden, die Sorel noch die “erhabene Gewalt” nannte an (eine Gewalt, wie die Gewalt der Anarchisten, die direkt sein sollte und nicht durch die längst mediatisierte List ersetzt.) Und weiter: Diese Rebellion tut weh. Sie tut weh bei denen, die sich sicher wiegten in ihrem Wertesystem. Egal wie sie sozialisiert wurden, sie entdecken Werte wieder, die sie mit den leeren Hüllen “Abendland” bezeichnen: Freiheit, Pressefreiheit, demokratische Grundrechte, die Kette ist endlos. Doch die Kette schafft ein Kollektiv, ein Kollektiv deren Eintrittskarte Fragebögen sein sollen. Die Menschen mit Fragen konfrontiert, die sie selbst nicht beantworten können: “Die Demokratie ist nicht die beste aller Gesellschaftsformen, aber die Beste die wir haben, was sagen Sie dazu?” “Scheiss drauf!” Sage ich, denn die Demokratie die hier gemeint ist, ist kein toleranter Pluralismus, sondern eine eine Ausschlussgemeinschaft “wertebekennender” Bürger. Und deren ureigensten Wert, die Freiheit, die sie mit Füssen treten. “Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!”, mit diesem Spruch der Rosa Luxemburg, wurde die DDR in meiner Jugend erschüttert. Das Land in dem ich lebe scheint gerade in diesen Tagen wieder einmal erschüttert zu werden. Das schöne dabei ist: Sie wird erschüttert durch einen Stoff, den man über sich zieht und mit dem man der Öffentlichkeit den Blick zu sich selbst versagt. Und hoffentlich lange: den Stoff, wird man so schnell nicht in Plastik verpacken und in die Schaufenster legen können. Die Burqa kauft man lieber in den Geschäften der Muslime und die haben sogar noch was davon. Mitten im Kapitalismus!

Montag, 8. Mai 2006

Ich kann nicht anders!

Genauso wie die verhassten Streber in der Klasse immer ihre Finger schnippsend streckten, um dem Lehrer ihre notgeile Mitarbeitsbereitschaft zu demonstrieren, fühle ich mich jetzt, auch in das Horn hineinzustossen, in das derzeit so heftig geblasen wird. Aber ich kann nicht anders.

Urbane Penner, Prekariat her oder hin, wo die hier beschriebenen Phänomene hinführen können, zeigt uns der Herr Enzensberger: In den Kult der Totalverlierer.


Dieses haarscharfe Urteil (und ich vergesse dem Super Magnus, dass er bis hin zur Globalisierung ausholt, das hätte er sich kneifen können!) hat eine neue Qualität in sich. Doch dazu muss ich weiter ausholen.

Die Quelle im Modernen Denken und derjenige, der in der Neuzeit das Phänomen auf einen Punkt gebracht hat, ist olle Nietzsche. Im seinem Buch "Jenseits der Moral" machte der auf eine Dichotomie aufmerksam: die Herrenmoral und die Sklavenmoral. Sklavenmoral, meinte er, ist die Grundlage der jüdischen und christlichen Religion. Entgegengesetzt zum Herren, der "Ja" sagte, handele es sich bei der Sklavenmoral um ein Ressentimentdenken, an dessen Ende ein schöpferisches "Nein" steht.
Dieses Ressentiment spiegele sich im Satz: "Die Letzten werden die Ersten sein!" Die Hoffnung, daß sich das vorhandene Ungleichgewicht, wenn auch am jüngsten Tage, in ein Gleichgewicht verwandeln würde. Egal ob es dann "Wolf neben Schaf" hieße, oder "Umkehrung der Verhältnisse" es ist das Ressentimentdenken und das Schöpferische "Nein", dass Triebfeder solchen Denkens sei. (Da ich hier keine Lust habe mich weiter in Nietzsche zu verlieren, empfehle ich nur ihn höchst selbst bei Ressentiment in Literaturliste.)

Dieser Grundgedanke wurde von Max Weber in seinem Versuch zur protestantischen Arbeitsethik in den Sozialwissenschaft exemplifiziert und in der Ethnologie von dem umstrittenen Wilhelm E. Mühlmann in seinem Buch "Chiliasmus und Nativismus. Berlin 1961" für ganz breite Volksbewegungen dingfest gemacht: Umsturzdenken und seine Triebfedern in der christlichen und jüdischen Religion.

Im Kern steht dabei immer ein Gedanke: Es muß ein Schöpferisches Nein her, eine Ideologie, egal wie sie orientiert ist: rückwärts, vorwärts, nirgendwärst (Utopia).

Das was Enzensbergers Ansatz neu macht, ist seine These vom Fehlen des Schöpferischen. Er meint, dass sich im Totalverlierer (angewandt auf den Totalen Krieg der Nationalsozialisten und den Selbstmordattentäter) ein Nein äußere, dass nicht schöpferisch, sondern nur zerstörerisch ist. Kommt der ohnmächtig wütende nun in ein Kollektiv der Gleichgesinnten, dann wird seine Zerstörungswut explosiv und gefährlich. Das Fehlen des Schöpferischen und trozdem das Vorhandensein des "Nein"s ist das, was den Totalverlierer zu begreifen so schwierig macht.

Schwierigkeiten bereitet mir vor allem, dass Enzensberger das schöpferische Neinvon Nietzsche in ein einfaches Nein umformt. Er zeigt dabei, dass die Gedanken unweigerlich zur letzten Konsequenz eines solchen Denkens, in den Selbstmord führen.

Und dass, was den Gedanken zu den urbanen Pennern, Penälern, dem Prekariat, die bisher kamen gleicht, ist das Fehlen des Schöpferischen. Solange sie nichts Schöpferisches vorzuweisen haben, bringen diese Gedanken letztlich nur den schlechten Geruch der Selbstzerfleischung, des Selbstzerstörerischen...

Nabelschau

Ich weiss nicht, woran es liegt, aber irgendwie grassieren immer Sinnfragen durch die Zunft der Wissenschaftler, da gibt es "quo vadis Symposien" und Selbstbeschäftigung. Und die neue Qualität ist, dass neben Selbstbeschäftigung immer neue Worte ersonnen werden, sich selbst oder den Zwischenraum zu beschreiben: Urbane Penner, Prekariat oder Zwischenschafter (via) ...
Meine Herren!

Ich will nur die letzten Sätze des Prekariatartikels zitieren:

Die Theorieabteilungen des Euro Mayday weisen darauf hin, dass »Prekarität« ohne einen ausdifferenzierten Begriff von gesellschaftlicher Arbeit allenfalls zur Agitationsfloskel taugt. Tatsächlich entscheidet sich am Begriff der Arbeit, ob es sich bei den Prekarisierten um bloße Opfer der gesellschaftlichen Entwicklung handelt oder nicht doch um eine Avantgarde, die bereits in die Kämpfe der Zukunft verstrickt ist. Denn wenn die Macht der Verhältnisse darin besteht, sich die lebendige Arbeit anzueignen, dann schlummert in diesem Sachverhalt kraft Dialektik auch der Same der Veränderung.

Dito, sind es nun also hybride Zugvögel auf den Weg zu warmen Nestern oder eine neue Kraft? Ich bin da eher skeptisch.

Samstag, 6. Mai 2006

wo ist der Zoo?

Warum gibt es unter der Menschheit
so viele aus der Herde
der a-emotionalen Rhinozerosse?

Warum müssen die Dickhäuter
immer und immer wieder
in mein Leben eindringen?

Und wenn sie dann mal wieder
den Weg der Kommunikationssubversion
in meinen Lebenskreis gefunden haben,
dann überschütten sie mich mit ihrer Arroganz,
wollen aber die Früchte meines Leibes
als Würze gegen ihre Langeweile!

Oh, ihr Zauberlehrlinge, hinfort hinfort!!

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Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

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