Freitag, 4. August 2006

Pikante Themen: Bettelei

Almosengeben ist im Islam tiefer in die religiösen Pflichten und die alltägliche Praxis eingeschrieben, als es in der heutigen christlichen Welt der Fall ist. Doch waren auch im Christentum Nächsten- und Armenfürsorge eine wichtige Stütze der vor allem städtischen Gesellschaften, in die es die Bettler vom Land in Scharen zog. Städtische Gesellschaften -- Scharen von Menschen sind wohl die besten Umgebungen, ein paar Bettler anzutreffen. Gestern wurde in Mazedonien das Fest des Hl. Elias (Sv. Iliyus) gefeiert, ein Tag, an dem die Menschen in Scharen zu den orthodoxen Kirchen strömen und hier wallfahren. Solche Tage sind gerade für das Betteln bestens geeignet.

Die Kirche von St Elias in Skopje liegt auf einem Berg. Die Wallfahrt wurde hier vor allem von muslimischen Zigeunern absolviert, ein paar orthodoxe Mazedonier waren aber auch darunter. Obwohl die muslimische Geistlichkeit dies als Affront gegen den Glauben empfindet und nicht müde wird zu betonen, dass es Sünde sei, kommen hierher tausende von Zigeunern .

Bei den Zigeunern kann an diesem Fest Menschen mit unterschiedlichem sozialen Status beobachten. Während bei den im Ausland arbeitenden Glücksrittern das Geld locker sitzt, sie in den Cafes Essen und Trinken, bestreitet die einheimische Mittelschicht den Tag mit Picknick, Kirch- und Spaziergang. Zigeunerische Händler säumen den Weg, bieten Plastikwaffen, Ikonen und Suessigkeiten feil. Bettler sitzen allerorten und machen die Hand auf.

Bettler

Das Betteleigewerbe ist dabei genauso organisiert wie andere Gewerbe. Bestimmte Plätze werden von den immer gleichen Personen, Gruppen oder Familien besetzt. Ist ein Ort besonders lukrativ, so wird hier stark um die Rechte gekämpft. In der Hauptstraße von Shutka gibt es ein Cafe, dass ist am Wochenende der Hauptversammlungspunkt aller Jugendlichen. Auf engstem Raum drängen sich hier hunderte. Wo die Menschen in Scharen kommen, lohnt sich auch das Betteln. In diesem Cafe betteln vor allem Jungs. Sie sind selten älter als 9. Hier hört das Bettelalter auf. Damit das Betteln aber nicht überhand nimmt, gibt es vor dem Cafe stärkere Jungs, die andere Bettlergruppen davon, abhalten in das Cafe einzudringen. An der Grenze zwischen Cafe und Strasse kann es deshalb gang schoen heftig zugehen. Da raufen sich die Jungs um die Vorherrschaft an der Grenze.

Bettelei hat in den wenigsten Fällen mit Armut zu tun. Da dies aber eine Hauptvoraussetzung ist, von den anderen als Bettler angesehen zu werden, entsteht oft bei Außenstehenden der Eindruck einer unvorstellbaren Armut, in denen die Bettler leben. Bettelei lohnt sich, ansonsten würden betreffende Personen anderen Erwerbszweigen nachgehen.

Der sichtbare Teil der Bettelei sind die auf der Strasse sitzenden Frauen, Kinder und Invaliden. Ein bettelendes Kind wird bis zum 7 bis 9 Lebensjahr auf die Strasse gehen koennen. Danach verliert es seinen Opferstatus und ist zum Betteln nicht mehr geeignet. Entweder steigt er dann in die Hoehen der Organisatoren auf oder er wird mit noch niederen Taetigkeiten wie Muell sammeln sich zufrieden geben muessen. Steigt er also auf arbeitet er im Hintegrund.
Hinter den sichtbareen Teil der Bettelei stehen Familien oder einzelne Gruppen, die organisieren, kontrollieren, die Almosen einsammeln und wieder innerhalb der Gruppe der inneren Hierarchie gemaess verteilen.

Und Bettelei ist mitnichten ein Tabuthema unter den Zigeunern. Für einige gehört es als Einnahmequelle einfach zum Leben dazu. Neulich sah ich ein schönes Mädchen, dass sich unter der Last ihrer Dinge, die sie vom Markt wieder zurück schleppte, ganz krümmte. Man hätte fast denken können, sie hätte eine schiefe Hüfte. Sie stellte die Sachen bei ihrer Freundin im Stadtzentrum ab und ging ersteinmal schnell eine Runde Betteln. Als sie durch die vier, fünf lukrativen Plätze durch war und ein bisschen gesammelt hatte, nahm sie wieder ihre Sachen und ging nach Hause weiter.

Mittwoch, 2. August 2006

Pikante Themen: Schwule Roma

Homosexualität ist unter den Roma wohl genauso prozentual verbreitet wie unter allen Völkerschaften der Welt.
Gestern sind wir durch das Wohngebiet der Atteleriezigeuner (topa’anli mahalla) gewandert und hatten eine denkwürdige Begegnung. Im Wohngebiet gibt es einen Derwischkonvent. In diesem Derwischkonvent gibt es einen qadiriya Derwisch, der seine Dienste auch als Wunderheiler (faqir) anbietet. Nach einem Gespräch mit ihm wies er uns im Wohngebiet auf ein Relikt einer dreihundert Jahre alten Moschee hin. Als wir uns dieses Relikt anschauen wollten, kam ein Mann dahergelaufen, der den Schluessel fuer die Sehenwuerdigkeit verwaltete. Der ehrwürdige Tsiganologe Trajko meinte hinter vorgehaltener Hand, da komme ein Schwuler. Mahqam, der sich da näherte war ein Mann fortgeschrittenen Alters, dessen Habitus gleich verriet, dass er aus seinen sexuellen Vorlieben keinen Hehl machen würde. Wie es der Zufall will, war es einer der Söhne des Derwisches. Nach einem Gebet am Relikt bat uns der Schwule Rom ins Haus, damit wir noch ein wenig reden. Er entpuppte sich bald als Geschichtenerzähler und als Horoskopersteller. Die vollgeschriebenen Blätter in seinem Koran verrieten, dass er das für die Leute in der Stadt öfter machen würde. In seinem Hof standen verschiedenen Boxen mit Girlanden und außerdem die Throne, in die zur Beschneidung die kleinen Jungen gesetzt und durch das Wohnviertel gefahren werden. Beschneidungsfeiern sind unter Muslimen neben der Heirat das wichtigste Familienfest. Für die Jungen wird zu Hause zum Zwecke des Einritzens des Häutchens, das Vorhaut an die Eichel bindet, ein Festbett vorbereitet. Diese Festbetten werden reich verziert. Das Ausschmücken des Festes im Haus, sowie die Herrichtung des Autos sind meist eine Aufgabe der Schwulen. Wenn es keine am Ort geben will, dann übernehmen das auch Frauen. Wenn man es sich aber leisten kann, dann lädt man sich von außerhalb dafür einen Schwulen ein. Auch heute haben wir bei einer Wallfahrt wieder einen Schwulen gesehen, der absolut keinen Hehl aus seinen Vorlieben machte. So sind also andernorts pikante Themen hier vor Ort gar keine.

Dienstag, 1. August 2006

Die Cowboystadt

Traijko Petrovskij ist ein Tsiganologe, der aus der Gemeinschaft der türkischen Roma kommt, in Zagreb Ethnologie studierte und zu einem tsiganologischen Thema promovierte. Mit ihm habe ich mich gestern getroffen, um über gemeinsame Forschungsinteressen zu reden. Wir sassen zusammen im Stadtzentrum von Shutka und er sagte, als wir uns dieses Treiben auf den Strassen so ansahen: „Shutka ist eine echte Cowboystadt.“ Wie recht hat er damit! Shutka ist wirklich eine Cowboystadt, nur sind die Pferde mittlerweile motorisiert. Die Kutschen fahren mit oder ohne Verdeck, vollverspiegelt oder offen, mit 6 oder 9 Musikboxen, mit Allrad, mit Sternen oder bayrischen blau weiss Zeichen im Kreis verziert. Manche Cowboys haben sich Roller zugelegt, fahren mit ihnen auf einem Rad durch die Innenstadt. Der neueste Schrei sind die vierrädigen Buggies. Auf ihnen wird geritten und gepost, was das Zeug hält. Cowboyhüte, Fransenjacken, Sporen und Pistolenguertel sind durch andere Symbole ersetzt worden: Sonnenbrillen, umgehängte mp3 Player, Handies, Turnschuhe. Draussen gehen die Gluecksritter erfinderisch auf die Suche nach Goldadern im kapitalistischen Djungel, zu Hause werden die Entbehrungen da draussen gefeiert, die Scheine sitzen locker, der Hahnenkamm wird mit Gel gestylt.

Ein Dialog aus dem Saloon:

-- „Hey was geht, was machst Du hier?“
-- „Ich, ähm, ich mache hier Urlaub. Wir haben hier einen Freund ….“
-- „Was nun, hast du schon jemanden zum Ficken?“
-- „ Äh, nein, die Maedchen sind zwar echt der Hammer hier..“
-- „Also was, du hast keine zum Ficken? Mann, was machst Du dann hier?“

Das ist Cowboyslang, das sind Cowboygedanken … Wie war das mit der zweiten Etage ueber den Saloons und den vielen Zimmerchen immer?

Posen ist wichtig hier. Denjenigen, die nicht in Pomp und Stolz aus dem Ausland kommen, wird unter den Cowboys nachgesagt, sie wären Versager.

Posen ist wichtig hier. Nicht nur fuer die Cowboys, die von weit her aus der Prärie kommen, auch für diejenigen, die immer hier wohnen.

Eines der Beispiele par excellence war heute in der Stadt zu bewundern. Ein stolzer Vater eines frisch vemählten Bräutigams fuhr heute durch die Strassen, auf einer Kutsche vorn mit dem Bild des frisch vermählten Paares, hinten mit einem Bild des Paares mit Vater und Mutter.

Hochzeitsfoto

In der Kutsche waren ein Dutzend Stiegen Fanta, Cola, Bier und Wasser gestapelt. Die Kutsche wurde begleitet von vier Musikern mit Schalmeien und Pauken, mehrere Helfershelfer verteilten in der gesamten Stadt an die Kinder Bonbons und Riegel. Er fuhr von Haus zu Haus und besuchte einen jeden, der auf seiner Hochzeit gewesen ist, um sich für sein Kommen zu bedanken. Die einen oder anderen forderte er zum Tanz auf offenener Strasse auf. Stau, Gestaune und Gemurmel auf alle Gassen. Hier setzte sich einer richtig in Szene.

Pferd

Nur war anscheinend die Wirkung dieses Posens hier in der Nachbarschaft verfehlt. Es wurde der Kopf geschüttelt, wie er da prasst. Wann ist er eigentlich in den letzten 15 Jahren mal mit seiner Familie in den Urlaub gefahren, fragten sie sich? Wo liegen hier Neid, wo Skepsis? Das Verhältnis zwischen Repräsentation und Praxis ist von jeher spannungsreich, bei den Cowboys aus der Prärie wie bei den Städtern Shutkas.

Montag, 31. Juli 2006

Die, die Kaffee ohne Zucker trinken...

Skopje ist eine typische sozialistische Stadt, die zu sozialistischen Zeiten ein Erdbeben erleben musste. Egal ob Ashgabad, Taschkent oder Skopje, ein Erdbeben war ein Segen fuer die sozialistischen Architekten. Nun konnte man mit dem Bulldozer ueber die Reste gehen und den sozialistischen Traum von hoehen Plattenbauten und, viel Platz zwischen den Strassenseiten verwirklichen. Das fuehrte in allen Faellen zum dem fast voelligen Fehlen eines geschaeftigen Zentrums. Doch das ist wie immer nur die halbe Wahrheit. Skopje ist in zwei Haelften geteilt. Die eine Flussseite ist von Mazedoniern bewohnt, die Christen sind. Die andere Haelfte ist bewohnt von Muslimen. Wollte man alle anderen Bruecken mal unberuecksichtigt lassen, koente man diese Bruecke als symbolischen Verbindung zwischen beiden Seiten sehen.

Bruecke

Irgendwie muss der mazedonische Stolz sich ganz schoen an einer jahrhunderte langen Vergangenheit unter dem osmanischen Reich abarbeiten. Um jetzt unmissverstaendlich zu zeigen, wer hier Titularnation ist und welche Religion sie hat, hat der fruehere Buergermeister vom Skopje auf den Berg an der Christlichen Seite
ein Kreuz errichten lassen, dass des Nachts mit Hilfe einer gigantischen Lampenzahl ueber die Stadt leuchtet.


Der Mond steht zur Zeit des Nachts gleich daneben (er hat gerade eine feine Sichel). Er leuchtet immer und bedarf keines Stromes. Das muslimische Viertel teilt sich auf in die verschiedensten Volksgruppen goesstenteils Albaner, Zigeuner und Tuerken. In ihrem Teil sind schoene Moscheen zu finden, der bunte und lebendige Basar, das Leben einer islamisch gepraegten Stadt eben. Im muslimischen Viertel kamen auch die sozialistischen Architekten nicht zum Zuge. Hier gibt es noch die alten Siedlungsformen der mahallas, Wohnviertel von grossen Strassen begrenzt im Inneren jedoch ein Gewirr aus Strassen in denen die meisten zu Sackgassen werden. Diese Viertel werden dominiert von Einfamilienhoefen. Kaum ein haus mit mehr als zwei Stockwerken. Durch die huegelige Landschaft stolpert man in engen Gassen nun also vom Tuerkischen Viertel zum Zigeunerviertel, zum Albanerviertel -- ein jedes mit einer individuellen Note.

Shutka nun ist die groesste Siedlung von Roma Zigeunern in ganz Europa. Die 22. 000 Roma hier im Hersbt und Winter schaffen das schon. Irgendwann nach dem Erdbeben siedelte man hier die Fluechtlinge und Erdbebenopfer an. Die Roma in Shutka sprechen Romanes, wenn sie unter sich sind. Wenn sie auf uns treffen, sprechen sie oft fliessend Deutsch.
In Shutka koennen viele der Zigeuner Deutsch, da sie wahrend des Kosovokrieges in Deutschland Asyl beantragten und oft fuer sechs, sieben Jahre bleiben konnten. Andere kamen schon in den 70ern als Gastarbeiter nach Westdeutschland. Als Rueckfuehrungsleistung fuer die Asylanten baute NRW in Shutka fuer mehrere Millionen Mark Haeuser, die von der hier ansaessigen Bevoelkerung "Baracken" genannt werden, obwohl sie nicht danach aussehen.

Die auswaertigen in Europa gebliebenen Zigeuner kommen im Sommer zum Urlaub auf Besuch zu ihren Familien und dann schwillt die Stadt auf ein vierfaches an: 80.000 Roma, die alle hierherkommen, um Hochzeiten, Beschneidungen und alle anderen Arten von Parties zu feiern.

Hochzeit

Doch neben diesem neuen Romaviertel und damit der groessten Siedlung der Roma in ganz Europa gibt es auch noch das alte Zigeunerviertel Toaana, ganz in der Naehe des Basares. Gestern gingen wir hin und wollten uns das Viertel mal ansehen.
An der Ecke stand eine kleine Gruppe von Maennern und unterhielt sich. Wir kamen an ihnen vorbei und natuerlich wurden wir gerfragt wo wir herkommen. Der einzige Romanes Satz,den wir dabei anbringen konnten,war: Wir kommen aus Deutschland. Der Rest wurde ab da an auf Deutsch erledigt.
Wir fragten, woher sie Deutsch kennen und unterhielten uns ueber das eben in Deuschland und Skopje. Als wir erzaehlten, wir wuerde in Shutka wohnen, meinten sie: Aha, bei den Djanbasa (Pferdehaendler) also. Dann fragten wir, wer sie denn seien. Da sagten sie, sie seien Arli. Dahinten, jenseits der Strasse wohnen die Buradzhisa. Was diese Namen bedeuten wuerden, wollten wir wissen. "Nichts", sagte Elvis, einer von Ihnen, "Sie bedeuten nichts. Arli bedeute lediglich, die Leute, die ihren Kaffee ohne Zucker trinken." "Und Buradzhisa ?" fragten wir. "Das sind die Geizigen", antwortete einer von ihnen. Man koenne schnell erkennen, wer von ihnen dazu gehoert. Die Buradzhisa wuerden ihre Haueser immer mit so schrecklichen Farben bemalen: Blau, Rosa usw.

Schoenere Antworten koennen Enthnologen wohl nicht erhalten. Damit hatte sich die Ethnonymfragerei ersteinmal erledigt.

Wieviele Menschen kann man bei uns wohl unter diese beiden Kategorien zusammenfassen: die Geizigen und die Leute, die Kaffee ohne Zucker trinken?

Samstag, 29. Juli 2006

Skopje

Nun sind wir also angekommen in Skopje. Nach brutal wenig Schlaf in einem dieser wunderbaren ausrangierten alten Bundesbahnwaggons, deren Sitze man zur einer gemeinsamen Liegewiese zusammenziehen kann, kamen wir in einem Bahnhof an, der so gar nicht nach dem Hauptbahnhof der drittgroessten Stadt des ehemaligen Jugoslawien aussieht. Nachdem Belgrad eine ziemliche Kopie von Budapest war und mit seinem in alle Welt ausfahrenden Zuegen eine Art von Wetstadtatem besitzt, ist in Skopje die Zugfahrerherrlichkeit ziemlich bei seinem Endpunkt angekommen. Wagt man einen Blick gleich neben den Bahnhof sieht man, was hier wirklich dominiert: der Bus und der Busbayhnhof -- nagelneu, hochfrequentiert und mit Bussen in alle Richtung: nach Kleinasien, an die Schwarzmeerkueste, nach Rom, Wien und Berlin.

Wir sind unterdessen im muslimischen Albanerviertel untergekommen. Ueberall Moscheen, die Menschen haben albanische Flaggen auf ihre Haeuser gepflanzt und die Stadt quillt ueber vor Autos. Ihre Nummernschilder deuten auf ihre derzeitigen Wohnorte: Belgien, Deutschland, Italien, die Schweiz um nur einige zu nennen. Albaner sind schon seit Jahren hier die typischen Arbeitsmigranten. Sie gehen nach Europa ueberall da hin, wo sie Geld verdienen koennen als Koeche, als Automechaniker usw. Im Sommer kehren sie alle fuer ein paar Tage nach Hause zurueck. So quillt die Stadt ueber und schwillt an vom Heimfahrerstrom.

Efrim ist einer von denen, die auch lange in Deutschland waren. Er hatte es mit einem Asylantrag nach Magdeburg geschafft, ging davon aber weg, als er merkte, das man in dieser Stadt mehr was auf die Muetze und so gut wie nie was in die Tasche bekam. Also ging er nach Duesseldorf. Als Pizzabaecker verdiente er hier schwarz ganz gut sein Geld, bis er bei einer Razzia gefasst wurde. Das war 2003, dann wurde er einige Monate spaeter abgeschoben. Seit dem ist er hier, backt seinen Borekteig und wartet auf die neue Gelegenheit. Er sagte, jeder zweite Albaner geht, sobald er achtzehn ist, ins Ausland, meist nach Deutschland, um sich hier was dazu zuverdienen. Dass das jedoch schwer ist, das weiss Efrim auch. Er verdient hier 350 EURO etwa jeden Monat. In Deutschland war es schwer, sagt er, mehr als 400 EURO zur Seite zu legen.

Freitag, 28. Juli 2006

Gebt uns Strom!

Nun sind wir also den dritten Tag in der Stadt Novy Sad und ich kann jetzt mal so ein bisschen davon ausgehen, dass ich die Stadt oberflaechlich kenne. Wir sind dei letzten zwei Abende in einem Cafe gewesen, dass so was wie ein Geheimtpp sein koennte, wenn jemand einen Geheimtipp braeuchte. Eine Gruppe Kuenstler hatte diese Geheimtipp auch bekommen. Sie haben sich fuer eine kleine Weile zusammengeschlossen, um eine Kunst und Aktivismus Karawane zu bilden, die von Bulgarien ueber Serbien nach Bosnien und weiter nach Ungarn ziehen wollte. Als sie in Novy Sad ankamen, entschlossen sie sich, erst einmal die Station in Bosnien zu ueberspringen, um laenger in der Stadt Novy Sad zu bleiben. Dass Kuenstler nun endlos durch die Gegend ziehen koennten, das erstaunt wohl keinen. Jedoch haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben, den Aktivismus mit ins Gepaeck zu nehmen. Also sagten sie uns vorgestern, dass sie am folgenden Tage in der Stadt eine Aktion vorhaetten. Sie wuerden mit einer Sambatrommelgruppe durch die Stadt ziehen und demonstrieren. Das Motto: Trommeln fuer Licht in einem Zigeunerviertel!

Novy Sad hat ein paar Zigeunerviertel. Alle sind sie am Stadtrand von Novy Sad. Die dort lebenden Zigeuner kommen von ueberall her, viele gebuertige Serben, einige aus dem Kosovo, einige aus Rumaenien, Ungarn, Bulgarien -- eine bunt gemischte Gemeinschaft mit bunt gemischten Sprachen und Berufsgruppen: Spezialisten des Speditionshandwerks, Papier- und Pappesammler, Karosserienaufarbeiter, Flaschen- und Plastiksammler, Haendler und vieles mehr. Alle Zigeunerviertel von Novy Sad sind offizielle Provisorien. Ismail, einer von den muslimischen Zigeunern im Viertel "Veliki Rid" kam aus dem Kosovo vor fuenf Jahren nach Novy Sad. Nach dem Kosovo kann er nicht zurueck. Die Albaner machen mit ihrer Vertreibungspolitik nicht nur den Serben massive Probleme, auch die Kosovoroma wurden hinausgetrieben und koennen nicht zurueck. Er hat sich in einem Zigeunerviertel von Novy Sad eine ganz ansehnliche Huette gebaut und ist ein Kleinhaendler, hat einen kleinen Laden an der Ecke. Fuer sein Haus und Hof jedoch hat er kein offizielles Papier. Will die Stadt morgen am Ort des Zigeunerviertels eine Fabrik bauen, kommen die Bulldozer und walzen alles platt. Aber dieses morgen ist nicht heute und so ist das Viertel seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Provisorium. Ein anderes Viertel heisst "Bangladesh". Es ist ein Sumpfgebiet in der Naehe der Donau und hat, aufgrund der Kombination mit den Roma dort, den Namen Bangladesh bekommen. Dieses Provisorium hat seit 33 Jahren bestand. Seit 5 Jahren nun bekommen die Zigeuner hier keinen Strom. Einmal am Tag -- morgens -- wird er fuer ein paar Stunden gegeben, zum Kochen, waschen usw. fuer den gnazen Tag. Das macht ein Handwerk hier unmoeglich. Viele der Zigeuner von Bangladesh sind Tischler, Schweisser oder Schneider. Ihr Handwerk ueben sie im Extremfall oft nur fuer eine Stunde am Tag aus, dann sind sie zur Arbeitspause oder zur Handarbeit verurteilt.

Gestern also war Demo, um das Problem zu beheben.. Die Karavanenaktivisten hatte sich dem Stromproblem Bangladeshs verschrieben, stellten eine Sambatrommelgruppe zusammen, beantragte eine Demo durch die Innenstadt und konnten ein paar Mitbewohner des Viertels (c.a. 30) dazu bewegen mitzumarschieren. Mit einem Transparent: "Gebt uns Strom!" zogen sie nun durch die Innenstadt und machten an einem unscheinbaren Platz halt. Hier wurde getrommelt und die Losung "Gebt uns Strom!" skandiert. Dann wurde ein Beamer angeschmissen und ein guter aber schnell gemachter Film ueber den fehlenden Strom im Viertel gezeigt. Der Chef der Aktivismuskuenstler war ein Englaender, konnte auf Serbisch nur "Gebt uns Strom!" Da er aber meinte, dass zur Demo fuer Zigeuner auch dieselben noch zu Wort kommen sollten, bat er einen von ihnen, etwas zu sagen. Keiner wusste, wie das geht. Einer also sollte nach vorn kommen. Nun, da sagten sie einem Jungen im Alter von 20 vielleicht: "Odina, geh Du!" Odina nahm das Mikrofon in die Hand und begann zu singen: von seiner Liebsten, einen Gassenhauer. Die Maedchen aus der Zigeunertruppe kamen sofort auf den Platz und tanzten. Ein ander von den Sambaleuten, ein albanischer Kuenstler kannte die noetige Trommelschlaege dafuer und so war ein Ensemble zusammen. Ein Lied wechstelte das andere ab, die Zigeuner tanzten. Dem Aktivismus war das nicht politisch genug. Ihr Chef ging herum und versuchte mit seiner sympathischen Uebersetzerin, einen der Zigeuner zu bewegen, doch wenigsten ein paar Worte zusagen. Bis er einen fand, der sich dazu bereit erklaerte, waren sieben Lieder gesungen. Die Leute auf dem Platz hatten ihren Spass. Dann eine kurze Ansprache eines Betroffenen. Er hatte nichts mehr hinzuzufuegen. "Gebt uns Strom! Seit 5 Jahren leben wir nun ohne. Wir sind doch auch Menschen. Die Serben haben doch auch Strom." Worte waren nicht sein Metier. Seine Leute hatten aber schon gezeigt, wie sie sich auszudruecken verstehen. Was gibt es doch fuer schoene Missverstaendnisse auf dieser Welt.

Mittwoch, 26. Juli 2006

Der Apfel

Der erste Tag in Novi Zad. Eine Stadt wie ein Gedicht. Waere ich ein Dumont Tourist, ich haette mir hier in der Stadt bei brennender Hitze an die 15 Kirchen von mehr als zehn Glaubensgemeinschaften anschauen muessen und waere dabei wie ein Palatschinken gebraten worden. Wunderbarer weise trage ich nie ein solches kiloschweres Bildungswerk in meinem Gepaeck, sondern habe mich mit den Jungs heute einfach an den Strand gepackt. Die Donau fliesst um diese Stadt im Halbkreis herum und bildet so eine natuerliche Grenze, in die sich da Stadt hineinschmiegt. Da im Prallhang, an der anderen Seite der Stadt also die Donau maximale Stroemung hat, fliesst sie ganz langsam im Innenkreis. Das macht das Baden in ihr hier ueberhaupt erst moeglich. Geht man jedoch hinein und schwimmt so ein paar Meter hinaus, da merkt man die ganze Macht dieser Dame.

Donaustrand

Ein Schwimmen, nur um Position zu halten, braucht etwa dreifache Kraft und allein der Versuch wieder da anzukommen, wo man eingestiegen ist, macht einen muede, so muede, man moechte sich den ganzen Tag ausruhen. Der Donaustrand ist voll, ueberall leckerste Essensstaende, Palatschinken, Sprotten, Gebaeck, Bier, Kaffee, Milch und Joghurt fliessen in Stroemen. Man moechte seinen Blick nicht auf Buecherseiten verweilen lassen waehrend mehrerer Stunden des Dortseins. Mephisto haette mich heute leicht zu sich nach Hause holen koennen, denn ein"Verweile doch Du bist so schoen!" waere mir heute leicht von den Lippen gekommen. Diese Stadt ist im Inneren am Abend eine Augenweide und Tags am Strand ein Ueberfluss. Ich verliess die Ufer der Donau am Abend mit den Worten: "Wenn die Welt ein Paradies waere, waere Novy Sad der Apfel."

ein Apfel

Rail Road move

Montag Mittag ging es los. In domestizierten Zuegen, bequem in Schalensitzen, klimatisiert, dem Raum entzogen -- in der Eisenbahnmaschine gefangen, Kunst der goldenen Fessel.

Von Dresden dann mit dem Bus rueber nach Teplice, mussten auf der Strecke einen Freund aufsammeln und waren ab da an zu dritt und vollzaehlig. Ein, zwei, drei Ethnologen jeder mit einem anderen Tick – jeder mit einem anderen Spruch waehrend der Bus wenigen Prostituierten vorbei zog -- fuer eine jede der wenigen gab es eine Drive by Analyse. Ethnologen teilen sich auf in stille Analytiker und sich aufplusternde Praxisfreaks. Wir drei haben von allem etwas mehr oder weniger. Also alle drei wie ein Sack Floehe, den zusammenzuhalten ist eine Aufgabe der Zukunft.

in teplice

Teplice, wunderbarer Bahnhof erster chechischer Ort auf der Strecke nach Prag. In Prag Zwischenstopp mit Bier und Streak ab dann in den billigsten weil einzig uebriggebliebenen D Zug nach Budapest, hinein in die Nacht. Alle anderen der staendig fahrenden Zeuegen haben sich der Schalensitzmodernisierung verschrieben. Was fuer ein Abstieg: das dreifache Zahlen und Aufrecht sitzen muessen.

Panonnia

Dann mitten in der Nacht ausgestiegen, Bratislavva, Ruckelzug an die Donau, Umsteigen mit dem Bus ueber die Donau und wieder in den Zug. Ha, dem schnoeden Mamon ein kleines Schnippchen geschlagen!

Nachdem wir in einem Schalensitzwrack von Budapest gekocht worden sind: Klimaanlage futsch und Fester oeffneten sich nur spaltenweise -- endlich angekommen in Novi Zad. Voivodina, Serbien, wunscherschoene Stadt, wunderbare Menschen und naja und aehh eine schoene Cafehauskultur.: - )

Meine Ohren stellten sich komischerweise erst ab der Puzta auf, vorher war alles Durchgang, Passage, bis an den Weissbrotaequator. Dann sass neben uns eine Wiener Serbin aus der Voivodina mit ihrer Tochter zwei lustige Maedchen, die uns mit den ersten Jugoslavienwitzen versorgten und die Fahrt verkuerzten mit ihrem Feixen ueber die "Jugokultur". Ihre lakonische Bemerkung in Sachen kaputter Klimaanlage. Was wollt ihr, ihr seid auf dem Balkan: da koennt ihr froh sein, dass am Wagon Raeder dran sind. Herzendes Lachen, keine Spur Ueberheblichgkeit.

Sonntag, 23. Juli 2006

Antizyklisch

Eigentlich wollte ich mich jetzt endlich beim vierten Mal Vater werden mit der höheren Philosophie des Säugens, der Mutterbrust, der Sonnenökonomie im Menschen usw. befassen und habe mir deshalb Ludwig Reiners Stilfibel geholt.
Nun mußte ich feststellen, dass diese Stilfibel nur zum Aufbessern schlechter Texte geeignet sein soll. Da habe ich ja auch einige auf Halde, dachte ich ... und habe mich an diesen netten kleinen Bestseller gesetzt. Dann dachte ich mir: Man braucht schon ne Menge Portion Selbstbewußtsein, sich noch mal als Schuljungen behandeln zu lassen... Aber egal ich stehe manchmal auf asketische Übungen.

Aber eigentlich wollte ich gar nicht darüber schreiben. Ich wollte vielmehr auf ein Phänomen von Zielgruppengenauigkeit
hinaus. Da gibt es doch tatsächlich jetzt eine Sendung (oder ich bekomme erst jetzt davon mit) "`Olaf macht das schon"' , in der meiner Wenigkeits Namensvetter die Fernsehzuschauer durch die Gegenden Deutschlands führt. Und da habe ich mir gedacht: ich hätte von dieser Sendung niemals Notiz genommen, wenn da nicht mein Name aufgetaucht wäre. Wievielen Leuten geht das wohl in Deutschland im Bezug auf diese Sendung so, fragt man sich. Aber ich dachte mir auch: das kann ich besser.Morgen nämlich fahre ich nach Mazedonien. Der Weg dorthin wird bestimmt sein vom Ausleben meiner alten Bahnromantik. Ich fahre von Zigeunersiedlungen zu Zigeunersiedlung: Endhaltestelle Shutka, Stadt der Zigeuner.

Und weil es eigentlich immer bei den meisten Leuten heißt, hier auf diesem Blog ist Sendepause, denn mein Leben ist die nächsten Wochen vom Urlaub bestimmt, und die obige Überschrift das Gegenteil verspricht, sage ich jetzt: Auf diesem Blog ist wieder mal was los, weil ich in den Urlaub fahre, Zeit habe, mich in Internetcafes rumzudrücken, anstatt zu Hause wie ein bekloppter an Texten zu feilen.

Ab Morgen...

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Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

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