Deutsche Anomalie(n)
Das Thema Kinder ist wohl ähnlich wie das Thema Sex! Ein jeder kann sie/ihn haben, meint er zumindest und meint deswegen auch was davon zu verstehen. Und ein jeder meint was drüber schreiben zu können. Und immer wenn jährlich die Demographiekurven gezeigt werden, dann artet eine ganze Journalie aus zu Volkskundlern, Erziehungswissenschaftlern und Ratgebern der „Nation“.
Gerade wieder einmal hat die ausländische Ethnologie von einem Thema zu „Deutschen“ von sich reden gemacht: Die Arbeit eines afrikanischen Ethnologen zu dem Thema „Deutsche und Haustiere“, besonders „der Deutsche und sein Hund“.
In den Besprechungen dazu kommt der Satz vor:
Hundeversicherungen, Schönheitssalons, speziell auf Vierbeiner abgestimmte Nahrung und Hundefriedhöfe sind aus afrikanischer Sicht absurde Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft. In Kamerun suchen die Tiere im Müll nach Nahrung und schlafen unter freiem Himmel. Ndonko kommt zu dem Schluss: «Die Desintegration der Familie hat sehr dazu beigetragen, dass in die deutsche Familie zunehmend Hunde integriert werden.»
Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern um die auffallende Parallele zu Anomalie sozialer Beziehungen. Im Elternblog der Zeit beschreibt der Autor seine Tochter als Prinzessin, viele Blogger haben Beiträge über ihre lieben Kleinen im Netz, so als ob der Weg in die Adoleszenz der kleinen Bälger eine Nachricht für die Welt ist. Derjenige der Kinder hat, stellt sie dar, als ob sie die einzigartigsten Wesen dieser Welt wären. Das ist der Beginn der Anomalie.
Vor ein paar Jahren habe ich einmal einen alten Mann (jenseits der 70) in muslimisch Mittelasien getroffen, der meinte er hätte 56 Kinder. Ich war bass erstaunt. Dann rechnete ich nach. (Man muss dazu wissen Kinder sind bei ihm Kinder und Kindeskinder usw. gewesen.) Nimmt man nun an, dass ein 70 Jähriger auf drei Generationen Kinder blickt, und man legt die unterdurchschnittliche Zahl von 4 Kindern pro Paar zugrunde, dann kommt man auf 64 Kinder, Enkelkinder und Urenkel. Leuten aus solchen Umgebungen etwas von Elternbriefen, Elternblogs und jede Menge Glossen über die Lieben Kleinen zu erzählen, ruft müdes Lächeln hervor.
Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern um die auffallenden Unterschiede zwischen dort und hier. Die Erziehung Europas hat andere Erziehungsmodelle entwickelt als die Gegenden mit normalen Beziehungen für Kinder.
Erziehung in Europa sieht so aus:
Die obere Kurve ist die der Mutter und die untere die des Kindes. Das Kind wacht auf, ruft die Mutter/Vater. Die Mutter/Vater nimmt es zu sich und beschäftigt sich mit ihm. Das Kind und die Mutter/Vater kommen im Wachzutand zusammen und zwar auf konfrontative Weise. Manchmal nennt man das auch Erziehung. Man kredenzt dem Kind pädagogisches Spielzeug, beschäftigt sich kurzerhand vor allem mit ihm. Irgendwann wird es müde, verlangt nach Schlaf, die Mutter legt es in eine ruhige Umgebung ab. Irgendwann wacht es auf und das Spiel beginnt von vorn. Das ist europäische Normalität und hat seine historischen Wurzeln.
In Asien sieht Kindererziehung so aus:
Die Kinder sind immer bei anderen Älteren, mal die Mutter, mal die Tante, mal die ältere Schwester. Dort schlafen sie ein und wachen sie auf. Sie gehören dazu, sind aber nicht Teil eines spezielleren Interesses. Man spürt sie bei sich und geht mit diesem Wissen sorgsam um, sie bilden aber für keinen einen Mittelpunkt. Ist man in diesen Gegenden unterwegs wird man feststellen: Es gibt kein Kinderzimmer, es gibt kein Kinderspielzeug. Es gibt wenige Kindergärten, aber es sind jede Menge Kinder da.
Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern nur um einen Punkt, und zwar den Hunde Bezug zur Anomalie von Oben:
Man könnte ihn anwenden auf unsere Gesellschaft und ausführen:
Ausbildungsversicherungen, teure Indoorspielplätze, speziell auf Kinder abgestimmte Nahrung usw. sind aus Kinderlandsicht absurde Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft. In Kinderland spielen die Kinder auf der Straße und schlafen in der Küche ein. Da muß man doch zum Schluss kommen: Die Desintegration der Familie hat sehr dazu beigetragen, dass in die deutsche Familie zunehmend Diskussionen um Kinder integriert wurden. Und man muß weiter gehen: diese Gesellschaft hat aufgehört, sich zu reproduzieren. Die Vorzug wird von den meisten der eignenen Wohlhabenheit gegeben. Kinder haben keinen Platz mehr in ihr. Und da wir es nicht wahrhaben wollen, sucht wir unsere Fetische: Elternblogs, Demographiekurven und jede Menge leere Worte.
Das ist die wahre Anomalie.
Gerade wieder einmal hat die ausländische Ethnologie von einem Thema zu „Deutschen“ von sich reden gemacht: Die Arbeit eines afrikanischen Ethnologen zu dem Thema „Deutsche und Haustiere“, besonders „der Deutsche und sein Hund“.
In den Besprechungen dazu kommt der Satz vor:
Hundeversicherungen, Schönheitssalons, speziell auf Vierbeiner abgestimmte Nahrung und Hundefriedhöfe sind aus afrikanischer Sicht absurde Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft. In Kamerun suchen die Tiere im Müll nach Nahrung und schlafen unter freiem Himmel. Ndonko kommt zu dem Schluss: «Die Desintegration der Familie hat sehr dazu beigetragen, dass in die deutsche Familie zunehmend Hunde integriert werden.»
Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern um die auffallende Parallele zu Anomalie sozialer Beziehungen. Im Elternblog der Zeit beschreibt der Autor seine Tochter als Prinzessin, viele Blogger haben Beiträge über ihre lieben Kleinen im Netz, so als ob der Weg in die Adoleszenz der kleinen Bälger eine Nachricht für die Welt ist. Derjenige der Kinder hat, stellt sie dar, als ob sie die einzigartigsten Wesen dieser Welt wären. Das ist der Beginn der Anomalie.
Vor ein paar Jahren habe ich einmal einen alten Mann (jenseits der 70) in muslimisch Mittelasien getroffen, der meinte er hätte 56 Kinder. Ich war bass erstaunt. Dann rechnete ich nach. (Man muss dazu wissen Kinder sind bei ihm Kinder und Kindeskinder usw. gewesen.) Nimmt man nun an, dass ein 70 Jähriger auf drei Generationen Kinder blickt, und man legt die unterdurchschnittliche Zahl von 4 Kindern pro Paar zugrunde, dann kommt man auf 64 Kinder, Enkelkinder und Urenkel. Leuten aus solchen Umgebungen etwas von Elternbriefen, Elternblogs und jede Menge Glossen über die Lieben Kleinen zu erzählen, ruft müdes Lächeln hervor.
Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern um die auffallenden Unterschiede zwischen dort und hier. Die Erziehung Europas hat andere Erziehungsmodelle entwickelt als die Gegenden mit normalen Beziehungen für Kinder.
Erziehung in Europa sieht so aus:
Die obere Kurve ist die der Mutter und die untere die des Kindes. Das Kind wacht auf, ruft die Mutter/Vater. Die Mutter/Vater nimmt es zu sich und beschäftigt sich mit ihm. Das Kind und die Mutter/Vater kommen im Wachzutand zusammen und zwar auf konfrontative Weise. Manchmal nennt man das auch Erziehung. Man kredenzt dem Kind pädagogisches Spielzeug, beschäftigt sich kurzerhand vor allem mit ihm. Irgendwann wird es müde, verlangt nach Schlaf, die Mutter legt es in eine ruhige Umgebung ab. Irgendwann wacht es auf und das Spiel beginnt von vorn. Das ist europäische Normalität und hat seine historischen Wurzeln.
In Asien sieht Kindererziehung so aus:
Die Kinder sind immer bei anderen Älteren, mal die Mutter, mal die Tante, mal die ältere Schwester. Dort schlafen sie ein und wachen sie auf. Sie gehören dazu, sind aber nicht Teil eines spezielleren Interesses. Man spürt sie bei sich und geht mit diesem Wissen sorgsam um, sie bilden aber für keinen einen Mittelpunkt. Ist man in diesen Gegenden unterwegs wird man feststellen: Es gibt kein Kinderzimmer, es gibt kein Kinderspielzeug. Es gibt wenige Kindergärten, aber es sind jede Menge Kinder da.
Ok. Darums solls jetzt nicht gehen, sondern nur um einen Punkt, und zwar den Hunde Bezug zur Anomalie von Oben:
Man könnte ihn anwenden auf unsere Gesellschaft und ausführen:
Ausbildungsversicherungen, teure Indoorspielplätze, speziell auf Kinder abgestimmte Nahrung usw. sind aus Kinderlandsicht absurde Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft. In Kinderland spielen die Kinder auf der Straße und schlafen in der Küche ein. Da muß man doch zum Schluss kommen: Die Desintegration der Familie hat sehr dazu beigetragen, dass in die deutsche Familie zunehmend Diskussionen um Kinder integriert wurden. Und man muß weiter gehen: diese Gesellschaft hat aufgehört, sich zu reproduzieren. Die Vorzug wird von den meisten der eignenen Wohlhabenheit gegeben. Kinder haben keinen Platz mehr in ihr. Und da wir es nicht wahrhaben wollen, sucht wir unsere Fetische: Elternblogs, Demographiekurven und jede Menge leere Worte.
Das ist die wahre Anomalie.
Olim-devona - Do, 15:34
Wir werden aber vermutlich nicht zu dieser "ursprünglichen" Gesellschaft zurückkehren. Hier hilft es nur, neue Formen zu entwickeln. Ein Versuch war z.B. die Bildung von Kommunen in den siebziger Jahren. Problematisch hierbei: Relativ homogene Altersschichten.
Das wiederum (und auch die Schwierigkeit für viele, Familie und Beruf zu vereinbaren) hat auch etwas damit zu tun, daß es bei uns einen starken Drang hin zu normierten Lebensläufen mit stark voneinander abgegrenzten Phasen gibt. Hier muß es auf jeden Fall mehr Flexibilität geben -- nicht für Arbeitgeber, sondern für die arbeitenden Familienangehörigen.
Schlußendlich muß es dringend nicht nur eine kindgerechtere Gesellschaft geben (und damit meine ich nicht: mehr Spielzeug, sondern weniger Arbeit), sondern überhaupt eine weniger ausgrenzende Gesellschaft, in der auch die Teilhabe alter, behinderter und weniger gebildeter Menschen wieder stärker möglich ist.
Ich sehe hier also weniger ein Mentalitätsproblem im Umgang mit Kindern als vielmehr ein Problem der Prioritätensetzung: sowohl in der Politik als auch im Lebenslauf jedes einzelnen.
Zur einschließenden Gesellschaft und zu den Motiven, Kinder zu bekommen, gab es einen schönen Text bei Moni, leider hat sie den inzwischen für die Allgemeinheit geschlossen.
historische Wurzeln
Das, was die Arbeiterparteien mit ihrer Sozialpolitik beförderten war die kritiklose Übernahme des bürgerlichen Modells für breite Schichten mit der klaren Trennung zwischen häuslichen (und weiblichen) Pflichten und der Arbeit außerhalb der Männer. Was im Beginn des 20 Jh. damit losgetreten wurde, davon erholen wir uns kaum mehr.
Ist der Ausweg nur durch staatliche Reglungen zu finden oder durch (mentale) Revolutionen? Arbeit darf nicht mehr als alleinig identitätsstiftend angesehen werden, Schlüssel- und Hortkinder nicht mehr als asozial, Kinder nicht mehr als finanzielle Last, und: Verwirklichung ist nicht nur in der Kinderlosigkeit möglich!