Reisenotizen

Mittwoch, 26. Juli 2006

Der Apfel

Der erste Tag in Novi Zad. Eine Stadt wie ein Gedicht. Waere ich ein Dumont Tourist, ich haette mir hier in der Stadt bei brennender Hitze an die 15 Kirchen von mehr als zehn Glaubensgemeinschaften anschauen muessen und waere dabei wie ein Palatschinken gebraten worden. Wunderbarer weise trage ich nie ein solches kiloschweres Bildungswerk in meinem Gepaeck, sondern habe mich mit den Jungs heute einfach an den Strand gepackt. Die Donau fliesst um diese Stadt im Halbkreis herum und bildet so eine natuerliche Grenze, in die sich da Stadt hineinschmiegt. Da im Prallhang, an der anderen Seite der Stadt also die Donau maximale Stroemung hat, fliesst sie ganz langsam im Innenkreis. Das macht das Baden in ihr hier ueberhaupt erst moeglich. Geht man jedoch hinein und schwimmt so ein paar Meter hinaus, da merkt man die ganze Macht dieser Dame.

Donaustrand

Ein Schwimmen, nur um Position zu halten, braucht etwa dreifache Kraft und allein der Versuch wieder da anzukommen, wo man eingestiegen ist, macht einen muede, so muede, man moechte sich den ganzen Tag ausruhen. Der Donaustrand ist voll, ueberall leckerste Essensstaende, Palatschinken, Sprotten, Gebaeck, Bier, Kaffee, Milch und Joghurt fliessen in Stroemen. Man moechte seinen Blick nicht auf Buecherseiten verweilen lassen waehrend mehrerer Stunden des Dortseins. Mephisto haette mich heute leicht zu sich nach Hause holen koennen, denn ein"Verweile doch Du bist so schoen!" waere mir heute leicht von den Lippen gekommen. Diese Stadt ist im Inneren am Abend eine Augenweide und Tags am Strand ein Ueberfluss. Ich verliess die Ufer der Donau am Abend mit den Worten: "Wenn die Welt ein Paradies waere, waere Novy Sad der Apfel."

ein Apfel

Rail Road move

Montag Mittag ging es los. In domestizierten Zuegen, bequem in Schalensitzen, klimatisiert, dem Raum entzogen -- in der Eisenbahnmaschine gefangen, Kunst der goldenen Fessel.

Von Dresden dann mit dem Bus rueber nach Teplice, mussten auf der Strecke einen Freund aufsammeln und waren ab da an zu dritt und vollzaehlig. Ein, zwei, drei Ethnologen jeder mit einem anderen Tick – jeder mit einem anderen Spruch waehrend der Bus wenigen Prostituierten vorbei zog -- fuer eine jede der wenigen gab es eine Drive by Analyse. Ethnologen teilen sich auf in stille Analytiker und sich aufplusternde Praxisfreaks. Wir drei haben von allem etwas mehr oder weniger. Also alle drei wie ein Sack Floehe, den zusammenzuhalten ist eine Aufgabe der Zukunft.

in teplice

Teplice, wunderbarer Bahnhof erster chechischer Ort auf der Strecke nach Prag. In Prag Zwischenstopp mit Bier und Streak ab dann in den billigsten weil einzig uebriggebliebenen D Zug nach Budapest, hinein in die Nacht. Alle anderen der staendig fahrenden Zeuegen haben sich der Schalensitzmodernisierung verschrieben. Was fuer ein Abstieg: das dreifache Zahlen und Aufrecht sitzen muessen.

Panonnia

Dann mitten in der Nacht ausgestiegen, Bratislavva, Ruckelzug an die Donau, Umsteigen mit dem Bus ueber die Donau und wieder in den Zug. Ha, dem schnoeden Mamon ein kleines Schnippchen geschlagen!

Nachdem wir in einem Schalensitzwrack von Budapest gekocht worden sind: Klimaanlage futsch und Fester oeffneten sich nur spaltenweise -- endlich angekommen in Novi Zad. Voivodina, Serbien, wunscherschoene Stadt, wunderbare Menschen und naja und aehh eine schoene Cafehauskultur.: - )

Meine Ohren stellten sich komischerweise erst ab der Puzta auf, vorher war alles Durchgang, Passage, bis an den Weissbrotaequator. Dann sass neben uns eine Wiener Serbin aus der Voivodina mit ihrer Tochter zwei lustige Maedchen, die uns mit den ersten Jugoslavienwitzen versorgten und die Fahrt verkuerzten mit ihrem Feixen ueber die "Jugokultur". Ihre lakonische Bemerkung in Sachen kaputter Klimaanlage. Was wollt ihr, ihr seid auf dem Balkan: da koennt ihr froh sein, dass am Wagon Raeder dran sind. Herzendes Lachen, keine Spur Ueberheblichgkeit.

Sonntag, 23. Juli 2006

Antizyklisch

Eigentlich wollte ich mich jetzt endlich beim vierten Mal Vater werden mit der höheren Philosophie des Säugens, der Mutterbrust, der Sonnenökonomie im Menschen usw. befassen und habe mir deshalb Ludwig Reiners Stilfibel geholt.
Nun mußte ich feststellen, dass diese Stilfibel nur zum Aufbessern schlechter Texte geeignet sein soll. Da habe ich ja auch einige auf Halde, dachte ich ... und habe mich an diesen netten kleinen Bestseller gesetzt. Dann dachte ich mir: Man braucht schon ne Menge Portion Selbstbewußtsein, sich noch mal als Schuljungen behandeln zu lassen... Aber egal ich stehe manchmal auf asketische Übungen.

Aber eigentlich wollte ich gar nicht darüber schreiben. Ich wollte vielmehr auf ein Phänomen von Zielgruppengenauigkeit
hinaus. Da gibt es doch tatsächlich jetzt eine Sendung (oder ich bekomme erst jetzt davon mit) "`Olaf macht das schon"' , in der meiner Wenigkeits Namensvetter die Fernsehzuschauer durch die Gegenden Deutschlands führt. Und da habe ich mir gedacht: ich hätte von dieser Sendung niemals Notiz genommen, wenn da nicht mein Name aufgetaucht wäre. Wievielen Leuten geht das wohl in Deutschland im Bezug auf diese Sendung so, fragt man sich. Aber ich dachte mir auch: das kann ich besser.Morgen nämlich fahre ich nach Mazedonien. Der Weg dorthin wird bestimmt sein vom Ausleben meiner alten Bahnromantik. Ich fahre von Zigeunersiedlungen zu Zigeunersiedlung: Endhaltestelle Shutka, Stadt der Zigeuner.

Und weil es eigentlich immer bei den meisten Leuten heißt, hier auf diesem Blog ist Sendepause, denn mein Leben ist die nächsten Wochen vom Urlaub bestimmt, und die obige Überschrift das Gegenteil verspricht, sage ich jetzt: Auf diesem Blog ist wieder mal was los, weil ich in den Urlaub fahre, Zeit habe, mich in Internetcafes rumzudrücken, anstatt zu Hause wie ein bekloppter an Texten zu feilen.

Ab Morgen...

Dienstag, 7. März 2006

Im Zigeunerlager

Gerade habe ich einen lieben Hinweis einer Kollegin auf Ihre eigene Seite bekommen, in der sie über eine Fahrt in die Ukraine und ihren Erlebnissen im Zigeunerlager erzählt. Sehr schön geschrieben, sehr schöne Fotos, ja, das ist das Leben, das pralle! Ich beneide sie!

Albert von LeCoq (IV) und Berliner Sitten

Ich erinnere, diese Reihe gibt ein paar Ergebnisse wieder, die Albert von LeCoq ind Karachodscha, NordwestChina erlebte, die Gegend um die Taklamakan, die man gemeinhin Sinkiang (Xinjiang) nennt:

Ich saß ziemlich verdrießlich über der Arbeit, währen Bartus im Hofe noch hämmerte. Da besuchten mich die Notabeln der Stadt, würdige alte Herren, und hielten ungefähr folgende Ansprache: " Herr, Ihr reist jetzt fort, lange waret Ihr hier, reich sind wir alle geworden. Viele habt Ihr umsonst von Ihren Krankheiten befreit; leider habt Ihr unsere Töchter nicht heiraten wollen. Aber wir haben Euch als gutgeartete Menschen befunden. Wir bedauern, das Ihr geht, und nun haben wir noch einen Wunsch. Wenn nämlich wieder so vornehme Leute vom Hof des großen Kaisers Gillehallem (Wilhelm) zu uns kommen, dann möchten wir sie so begrüßen, wie es die Vorschrift am Hofe des großen Landes Bälin erfordert."

Ich stöhnte etwas, antwortete aber in schön gesetzten Worten, dankte ihnen für die Aufmerksamkeit, und sagte ihnen, ich hätte noch zu tun, denn wir wollten ja fort. Was den Gruß anginge, so würde mein "Held" ihnen beibringen, wie der König und die Vornehmen einander grüßen.
Ich komplimentierte sie hinaus und rief Bartus zu: "Herr Bartus, die Leutchen wollen wissen, wie man in Berlin sich auf vornehme Art begrüßt." Bartus rief: " Dat wer ick sie schon lernen." Ich ging wieder an meine Arbeit und als sie fertig war, hörte ich draußen noch allerhand Kommandorufe, und siehe! Bartus hatte die 15 alten Herren aufmarschiert, drei breit und 5 tief, sie machten ihre Diener, erst nach rechts, und sagten ganz deutlich: "Guten Morgen, olle Schafsneese", dann wandten sie sich nach der linken Seite, machte ihre Diener und sagten: "Guten Morgen, olle Schnapsneese".
Es war so komisch, das ich mit Mühe das Lachen verbiß. Hochbeglückt empfahlen sich die Leute und als Grünwedel 6 Jahre später eintraf, kamen sie heraus, machten ihre Verbeugungen höchst feierlich und begrüßten ihn nach der Hofsitte von Bälin.


Das war's es ersteinmal mit den Erlebnissen , dieses wunderbaren Wissenschaftlers. Wer mal nach China reist und in den Nordwesten will, der sollte sich unbedingt seine zwei Bücher "Auf Hellas Spuren in Ost-Turkestan" und "Von Land und Leuten in Ost-Turkestan."

Montag, 6. März 2006

Albert von LeCoq (III) und die Berliner Handschriftensammlung

Hier der vorletzte Teil der hübschen Einblicke in Wissenschaftsgeschichte:

Bartus war, wie schon bemerkt, überall ein großer Favorit. Seine natürliche Heiterkeit, seine herkulische Kraft, und seine große Gutmütigkeit gefielen den Leuten. Wir haben zusammen viel gelacht.
Eine Tages sagte ich ihm( Bartus): "Herr Bartus, hier ist die Blechdose mit getrockneten Heidelbeeren, die als Mittel gegen Durchfall mitgenommen worden sind. Es sind aber Käfer hineingekommen und Sie können den Inhalt ausschütten. Die Dose wollen wir verwahren, um Manuskripte oder derartiges hineinzupacken."
Am nächsten Tage kam Bartus mit einem Stoß schöner, alter Handschriften. Ich fragte ihn :"Aber , Herr Bartus, wo haben sie den Kagaz (Papier) her?" " Jawoll , Herr Doktor," sagte er , "wie ich gestern das Zeug wegschmeißen wollte, da kamen ein paar von den alten Herren und die fragten mich, was ich da hätte. Da habe ich ihnen gesagt, das sei ein Verjüngungsmittel. Da wollten sie alle davon haben. Ich sagte ihnen aber, erst müßt ihr ordentlich Kagaz bringen und siehe, gleich brachten sie mir den ganzen Stoß. Ich habe ihnen dann davon gegeben und heute morgen waren sie schon wieder da und wollten mehr haben. Sie haben es alles gegessen, Beeren und Käfer, und behaupten, es hülfe ausgezeichnet."

Sonntag, 5. März 2006

Albert von LeCoq (II) und das Fremdgehen

Hier ein zweiter Teil aus den Reiseerzählungen:

Als wir lange Zeit dort (Karachodscha) gehaust hatten, besucht eines Tages uns der Kasi und der „Große Achund“, ein geistlicher Würdenträger, und es entspann sich ungefähr folgende Unterhaltung: „Herr, Es ist nicht gut , daß Ihr alleine lebt. Ihr müßt antwortete: „Wir sind ja verheiratet. “Darauf der jene: „Ja, Eure Frauen sind aber viele tausend von hier entfernt, hier müßt Ihr Frauen nehmen. Meine Tochter und die Tochter des Richters (Kasi) sind bereit, mit Euch den Bund der Ehe zu knüpfen.“ Dies war eine unangenehme Eröffnung. Wie sollte man die angesehenen Leute loswerden, ohne sie zu Kränken ? Ich dankte Ihnen zunächst und sagte Ihnen dann: „Freunde, Ihr wißt, daß die Chinesen hier Spione haben, die alle Woche einen Bericht nach Peking schicken, welcher unserem Gesandten übergeben wird. Der schickt den Bericht an den großen Kaiser Gillehallim (Wilhelm), in dem großen Land Bälin. Nach unserem Gesetz dürfen wir nur eine Frau heiraten. Wenn der große Kaiser erfährt, das wir hier geheiratet haben, was, glaubt Ihr wohl, das uns passiert?“ Sie strichen sich die Bärte und sagten, das wüßten sie allerdings nicht, worauf ich ihnen erklärte, daß wir dann unfehlbar 25 mit dem „großen Stock“ aufgezählt bekämen. Da entsetzten sie sich über unsere Barbarei und empfahlen sich mit Ausdrücken des Bedauerns und der Freundschaft.

Samstag, 4. März 2006

Albert von LeCoq (I) oder Gott in der Maschine

Mit Wissenschaftlern, kann man so seine Probleme haben. Ganz verstaubt in Marmor gehauen, weltbewegende Gedanken darunter auf dem Sockel. Trockene, unüberbrückbare Distanz.

Um solche historischen Persönlichkeiten mit Übermenschencharakter zum greifbaren Nachbarn von nebenan zu machen, dichtete man ihnen oft böswillig und manchmal nicht ohne Grund so manches an den Hals. Da sollen Caesaren anrüchige Beziehungen gehabt haben...War Napoleon schwul?
Es gibt jedoch eine Person in der Ahnengalerie der deutschen Wissenschaftler, über 70 Jahre ist sie nun tot, die recht frei über ihre Vorlieben, Geschicke und Mißgeschicke schreiben konnte: Albert von LeCoq.
Schauen wir uns doch mal zu ihm den Nachruf von Ernst Waldschmidt an: "Von LeCoqs Lebensweg ist nicht der übliche eines glatten Beamten." Stimmt (Das nehme ich mal vorweg.) Als Sohn eines Großkaufmanns genoß er eine ganz ansehnliche Schulbildung, konnte sein Abitur jedoch nicht zum Abschluß bringen, "wegen Teilnahme an einer verbotenen Verbindung". Aufgrund dieser "Teilnahme" wurde er aus der Schule geworfen, ging dann nach England und Amerika zur kaufmännischen Ausbildung. Später studierte er in Amerika noch Medizin.
Nach Deutschland zurückkehrend, tritt er in die Firma (Apotheke) seines Vaters ein, wird Apotheker und verkauft sie einige Jahre später. Dann siedelt er von Darmstadt nach Berlin über um dort damit zu beginnen, was ihn später zum "Orientalisten" gemacht hat.
Mit 40 Jahren tritt er als Volontär in das Museum für Völkerkunde ein, studiert gleichzeitig noch Arabisch, Türkisch und Persisch am Orientalischen Seminar an der Humboldt-Universität und fährt bereits anderthalb Jahre darauf nach Kurdistan zum Textesammeln. Dann wechselt er in die Indische Abteilung des Museums für Völkerkunde und bearbeitet hier alte Handschriften aus dem Gebiet, dem er auch später zu Weltbekanntheit verhilft: "Turfan".
Bereits 4 Jahre nach seinem Eintritt ins Museum, und 2 Jahre nach dem Wechsel in die Indische Abteilung, wird er Leiter der "Zweiten Turfanexpedition", der er ein Buch gewidmet hat, was wohl zu den witzigsten Reise und Expeditionsbüchern gehört, die ich je gelesen habe. Ausgerüstet mit zu der Zeit noch jungfräulich entwickelten Kameras, mit Aufnahmegeräten, die, ähnlich einer Platte, Geräusche aufnehmen konnten, begibt er sich nach Ostturkistan (heute Westen von China, nördl. Tibets) um in die Reihe der "Foreign Devils" aufgenommen zu werden. Nicht nur weil er den Chinesen zuvorkommt, Kunstschätze zu "entdecken" und abzutransportieren, sondern auch weil er der Chinesischen Kunst einen antiken Einfluß unterstellen konnte. Anhand einiger Lesebeispiele aus dem Buch " Auf Hellas Spuren durch Ostturkistan", was Albert und sein Kumpel Bartus alles so verzapften.


Die Franken und der Liederkasten

Der Wang lud uns dann in innere Gemächer, wo nach einiger Zeit seine Sängerinnen, große, schöngewachsene Frauen, uns Lieder vortrugen. Begleitet wurden sie von einem einzigen Musiker, der auf der si-tär, einem langhalsigen, violinenartigen Instrument, mit einem Roßhaarbogen außerordentlich anmutige Weisen hervorbrachte. Der Gesang dieser stattlichen Frauen - sie waren aber die erste Jugend hinweg - war ganz verschieden von dem nasalen Geplärr der Araber und den, mir wenigstens, unerträglichen, schrillen Gesängen der Chinesen.
Ich bat den Wang, mir diese Sängerinnen nach Karachodscha zu senden, damit ich ihre Lieder auf meinem Phonographen aufnehmen könne.
Er hielt sein Wort:. Bald nach unserer Rückkehr nach Karachodscha trafen die Damen in einer festlich geschmückten chinesischen Kutsche (sie wird dort ma-pa genannt) -mit ihrem Gesunde ein und wurden von unserem Wirt mit vielen tiefen Dienern empfangen. Zwei Räume wurden für sie geleert. Sie wuschen und schmückten sich und wir empfingen sie in unserem, mit unseren roten Bettdecken festlich verhängtem Raum, wo ihnen der übliche Imbiß vorgesetzt wurde. Sie waren zuerst sehr nervös, beruhigten sich aber bald, zumal ihnen der französische Champagner ausgezeichnet schmeckte.
Ich holte dann den "Liederkasten" (naghma sandüq) hervor, stellte, den Trichter auf und bat die, vornehmste, in den Apparat hineinzusingen.
Sie fürchtete sich ein wenig, nahm sich aber rasch zusammen und sang mit schmetternder Stimme in den Apparat - so laut zwar, daß die Vibrationen des Metalltrichters mit auf die Wachsrolle übertragen wurden.
Vergebens bat ich die zweite, leiser zu singen - beide Frauen waren doch etwas ängstlich. Sie schienen sich durch übermäßig lauten Gesang ihre Furcht vertreiben zu wollen.
Nachdem ich mehrere Lieder aufgenommen, dankte ich ihnen und entließ sie hocherfreut, eine jede mit einer russischen tila(Goldstück). Sie fuhren noch am selben Nachmittag nach Luktschun
zurück.(...)
Diese Begegnung hatte lästige Folgen. Mit der seltsamen Schnelligkeit mit der - durch den Bazarklatsch - alle möglichen Neuigkeiten im Lande verbreitet werden, erfuhren auch die Zämindars (Großgrundbesitzer) der Umgegend, daß die Sängerinnen des Wang berühmte Schönheiten, in einen zauberischen Liederkasten des fremden Herrn gesungen hätten.
Am zweiten Tage nach jenem Besuch fand ich, zu meinem Ärger, daß außer den zahlreichen Patienten auch eine ganze Anzahl würdiger, wohlgekleideter alter Herren im Hof des Serail mich erwarteten. Sie erhoben sich mit großer Höflichkeit, boten mir den Saläm, und fragten, ob Ich ihnen nicht die Lieder jener, Damen mit „Liederkasten“ vorführen wolle.
Da die Leute ganz außerordentlich höflich waren, willigte ich ein. Aber jeden Tag kamen mehr, so daß diese Besuche äußerst zeitraubend wurden.
Als daher an einem Abend der Zulauf besonders groß war, lud ich die drei ältesten dieser Herren in mein Zimmer ein, setzte ihnen Tee usw. vor und hielt folgende Rede:
„Ai dustlärim-a! o meine Freunde! Ihr wißt, daß es zwei Arten der Magie gibt; die weiße, mit Alläh, die schwarze, die mit dem Schaitan (Satan) zusammenhängt!“-
Chorus: „Bäli, turäm! Jawohl, mein großer Herr!"-
".Nun wohl. Ihr wißt, daß Allah uns Franken ein größeres
hikmät, (Verstand) gegeben hat,( Chorus: „Bäli, turäm!“) als euch, und daß wir die beiden Arten ausüben dürfen, ihr aber nur die weiße!" (Chorus.' "Bäli, türäm!") "Gut- ich bin besorgt um euer Wohl ; der Liederkasten gehört in die schwarze Magie; darin sitzt ein kleiner Schaitan, der schreibt, die Worte auf und singt sie nachher! Nun geht und sagt das den anderen Herren. Wenn ihr trotzdem die Lieder wieder hören wollt, werde ich sie vorführen! Nur müßt ihr dies alles wissen!“

Ernsthaft strich man sich die Bärte unter frommen Ausrufen. Sie entfernten sich und sprachen mit den anderen. In knapp drei Minuten waren sie wieder da -"Taksir, türäm! Du willst uns, nur loswerden! Da ist kein Schaitan, das ist nur eine makina( Maschine), die Ihr Franken euch ausgedacht habt, und wenn du willst, so lasse uns die Lieder hören!“
Ich war entzückt über diese, die alte Kultur der Leute bezeugende Antwort und führte ihnen den Liederkasten vor.

Sonntag, 27. November 2005

Wenn die Toechter tanzen...

Gestern war ich wieder einmal den ganzen Tag im Namen des Vergnuegens unterwegs und ich weiss nicht wie es kam, aber ich hatte es den ganzen Tag nur mit komischen Frauen zu tun...
Den Anfang machten zwei Maedchen, die Arnaud, ein franzoesischer Forscher zu Solidaritaetsbeziehungen in Mittelasien angeschleppt hatte. Beide waren Studentinnen der uzbekischen Hochschule fuer Diplomatie, eine von zwei Elitehochschulen in Taschkent. Ihre Eltern wohnen nicht in Taschkent, so sind sie im Wohnheim untergebracht und deswegen realtiv frei. Dass sie diese Freiheit auch geniessen koennen, dafuer koennen nur ihre Eltern sorgen, denn ein Monatsstipendium reicht hier noch nicht mal aus, um eine Eintrittskarte in die Diskothek zu bezahlen. Wollen sie also tanzen, dann machen sie das im Studentenwohnheim. Sie stellen einen Kasstetenrekorder in die Mitte irgendeines Zimmers und tanzen hierzu, bis die Socken qualmen. Sie verabschiedeten sich von uns und rauschten ihrem Studentendomizil entgegen, da ein Geburtstagstanz einer Freundin sie erwartete.
Wir hingegen gingen zum Sushiessen in ein arabisches Restaurant. Dort warteten zwei Maedchen auf uns, die japanischer Provinienz waren. Sie arbeiteten beide bei UN Organistionen und waren auslandserfahren: Rumaenien, Tadschikistan usw. wo immer die UN Geld hinpumpen, sind diese Leute zugegen um fette Gehaelter abzufassen (ein Leben in der Fremde ist ja auch nicht so leicht).

Sie beide waren Toechter von Diplomaten, sind in die Fussstapfen von Mami und Pappi getreten. Dass sie jetzt tanzen gehen koennen, koennen sie sich selbst leisten. Immerhin bewohnt die eine von ihnen eine Villa mit sechs Zimmern, ein paar Waechtern und einem Hund. Bevor aber der Tanz anfing, wurde noch schnell ein Toertchen im Auslaendercafe eingeschoben, einen Latte dazu...

Darauf ging es in die Katakomben, einem Klub Taschkents, der der Tochter von Karimov, dem Praesidenten hier, gehoert. Wenn alles schliesst und keiner eine Lizenz mehr bekommt, Toechterchen macht bis 7 Uhr in der frueh auf, ohne Probleme (bemalol).

Und natuerlich nutzt sie ihn dann auch. Irgendwann gegen 3 machte mich Arnaud auf das Maedchen da am Eingang aufmerksam. Die Tochter waere gekommen... Mir geht Beruehmheit am Arsch vorbei, sollen sie doch jemanden Zujubeln, der nur Kraft seiner Herkunft schon was ist.
Und wenn sie herumtanzt, dann stehen an allen vier Ecken ihres Daseins Bodyguards herum und schauen grimmig drein. Hat
mir fuer die Zeit ihres Daseins gehoerig die Laune verdorben, haette auch darauf verzichten koennen.

Aber irgedwann ist sie gegangen und es blieben andere Toechter uebrig. Die eine hatte eine starke Familie im Hintergrund, die andere suchte noch in der Zukunft nach ihr.

Montag, 21. November 2005

Qur'on qarim

Heute ist mir so mit das Abgefahrendste passiert, was einem Mittelasienwissenschaftler oder -reisenden so passieren kann. Ich saß in einem Internetcafe und schrieb so vor mich hin. Ein Mann setzte sich mit seinem Sohn zu mir und meinte, er würde sowieso kein Englisch verstehen und nur ein bisschen zuschauen wollen. Meine Finger würden sich so schnell bewegen... "Na, unter den Blinden ist der Einarmige König!" dachte ich mir und ließ ihn machen. Seine Anwesenheit fuehrte dazu, daß meine Konzentration rapide abnahm und ich einer Freundin einen Brief voller Fehler abschickte. Dann ließ er mich in Ruhe. Kurz bevor er rausging, fragte er mich, ob ich denn nachher noch einmal 20 Minuten Zeit hätte, er würde draussen warten. Ich war sowie fast fertig und ging auch bald. Er stand mit seinem kleinen Sohn draussen und fragte, ob wir nicht einen Kaffee trinken wollten. Ich dachte schon zu wissen, was das fuer ein Kaffeegespräch werden würde: Wie kann ich nach Deutschland kommen, wie kannst du mir helfen usw ? Deswegen ermunterte ich ihm, mir doch jetzt gleich mal zu erzaehlen, was er denn von mir wollte.

Er zeigte auf seinen Sohn und sagte: Dieser kleine Junge hier sei einzigartig auf der ganzen Welt. Er haette auf der rechten Brust von Gott die Buchstaben eingeschrieben bekommen "Qur'on qarim", was soviel heißt wie: der Heilige Koran.

holy-koran

Sein Sohn würde jetzt bald vier werden. Er zeigte mir ein paar Bilder, die seinen Sohn als rechtmaessig betenden Gläubigen ablichteten. Er hatte auch eine Kaabatapete zu Hause und hier würde sein Sohn jeden Tag davorstehen und weinen. Er würde jeden Tag bitterlich weinend davon erzählen, daß er nach Mekka will. Seine Aufgabe als Vater sei es jetzt, dem Kind einen Sponsor zu finden, der es ihm ermöglicht, ihn nach Mekka zu bringen.
Dazu bräuchte er jemanden, der ihm einen Text aus dem Russischen in Englische übersetzen und ihm eine Website einrichten würde, damit sein Kind in aller Welt bekannt würde. Als er mir die eingeschriebenen Buchstaben zeigte, sah ich zwei Leberflecke unter der rechten Brust. Diese Leberflecke auf Papier abzeichnend hatte ein schriftkundiger Kalligraph die arabischen Buchstaben "qur'On qarIm" hineingezaubert.

Geschichten von Gottes Wunderkraft gibt es immer wieder. Die letzte spektakuläre Geschichte war während der Tsunamikatastrophe eine Welle in Indonesien, die die Buchstaben "Allah" abbildete. Das wurde auf einem Satellitenfoto festgehalten. Eine andere Geschichte, passierte vor zwei Jahren, als in der Nähe von Khodschand / Tadschikistan ein Schaf mit den Buchstaben Allah geboren wurde. Der Stall des Schafes wurde zum Pilgerzentrum für Gläubige aus ganz Mittelasien. Bis ein paar reiche Kaufleute aus dem Iran kamen und das Schaf für 8.000 Dollar abkauften. Das bestrafte Gott und ließ den ehemaligen Besitzer erkranken.

Ich hatte dem Mann gegenüber sowieso ein etwas verschnupftes Verhältnis und sagte ihm, dass ich für solch eine Arbeit keine Zeit hätte. Es gäbe in der Stadt hunderte Gläubige, die ihm eine Internetseite einrichten könnten und ihm seinen Text auf Englisch übersetzen würden.
Nun habe ich wegen dieser Abfuhr immer noch ein schlechtes Gewissen. Ich bin auch gerade auf Klo gegangen und hatte Durchfall. Hai jai jai, hoffentlich kommt da nicht die Vogelgrippe auf mich zugeflogen. (Das ist hier übrigens Thema Nummer eins, in einer Jahreszeit, die einige vernschnupft aussehen läßt.) Da fällt mir ein, ich habe auf dem rechten Arm unterhalb des Ellenbogens auch einen Leberfleck. Wenn ich mir den so recht betrachte, steht da auch Allah geschrieben. Na, dann bin ich ja mit einem Gegenzauber ausgestattet. Toi toi toi!!!

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Olim ist ein arabischer Vorname, der sich aus der Silbe ilm ableitet und soviel heißt wie der Wissende oder Wissenschaftler. Ich habe den Namen 1994 in Buchara verliehen bekommen und ein Jahr später angefangen, Mittelasienwissenschaften zu studieren. Das tue ich heute immer noch im fortgesetzten Stadium. Devona ist ein Wort das man fuer verrückt, entrückt, weggetreten benutzen kann. Es hat immer irgendwie mit Liebe zu tun, zu den Menschen, zum Leben, zu Gott. Naja und das zusammen macht die Figur Olim devona aus. Manchmal schlüfe ich in sie hinein und fuehle mich dann total devona.

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